INTERVIEW

"Wir müssen die Radiologie in der Berufspolitik und in der Patientenversorgung sichtbarer machen"

Prof. Dr. Jörg Barkhausen, Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, hat am 13. Mai 2021 sein Amt als Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) angetreten. Im Interview skizziert er die Schwerpunkte seiner Präsidentschaft, darunter die Stärkung des berufspolitischen Engagements in der Radiologie sowie ihre größere Sichtbarkeit in der Politik und der Krankenversorgung.

Professor Barkhausen, die Corona-Pandemie hat unseren Alltag stark verändert. Auch die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG) war von Veränderungen betroffen. Wie haben Sie die Situation wahrgenommen?
In Bezug auf unsere Fachgesellschaft haben sich glücklicherweise keine negativen Effekte eingestellt. Wir haben uns extrem flexibel und schnell den jeweils gültigen Regeln angepasst. Von den teilweise gravierenden Anpassungen, die notwendig waren und die auch hinter den Kulissen in Windeseile passiert sind, hat man als DRG-Mitglied nicht viel mitbekommen. Die DRG-Geschäftsstelle hat in kürzester Zeit auf die Situation reagiert und zum Beispiel neue Kongressformate sowie Inhalte entwickelt und Prozesse neu strukturiert. Damit hat sie auch in der Pandemie einen exzellenten Job gemacht. Ich freue mich sehr darauf, mit diesem tollen Team in den nächsten zwei Jahren noch enger zusammenzuarbeiten.

Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, hat am 13. Mai 2021 sein Amt als Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft angetreten.Professor Dr. Jörg Barkhausen Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, hat am 13. Mai 2021 sein Amt als Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft angetreten.© DRG
Welche Schwerpunkte werden Sie in Ihrer Präsidentschaft setzen?
Ich möchte die Radiologie im Spannungsfeld von Disziplinarität und Interdisziplinarität in den Bereichen, die für uns als Fachgesellschaft wichtig sind, weiterentwickeln: Forschung, Lehre, Patient:innenversorgung. In der Patient:innenversorgung sind wir prominent vertreten. Von der Quantität her lässt sich das kaum ausweiten, wir müssen uns deshalb auf die Qualität fokussieren. Dabei sollten wir Leitlinien stärker in das Bewusstsein bringen und sie zu einer gelebten Realität in der Versorgung machen. Als Beispiel seien an dieser Stelle nicht-invasive bildgebende Verfahren zur Diagnostik der Koronaren Herzerkrankung (KHK) genannt wie die CT-Koronarangiographie und das Stress-MRT, die mittlerweile als bildgebende Verfahren der ersten Wahl in allen nationalen und internationalen Leitlinien fest verankert sind. Trotzdem, und das ist eine große Herausforderung, sind diese Methoden bisher noch nicht flächendeckend in der klinischen Routine angekommen. Diese Methoden allen Patient:innen zugänglich zu machen, werden wir nur interdisziplinär und gemeinsam mit anderen Fächern erreichen. Ich denke dabei insbesondere an Hausärzt:innen und Internist:innen inklusive der Kardiolog:innen und den Kardiochirurg:innen. Ich wäre sehr zufrieden, wenn wir in meiner Präsidentschaft gemeinsam mit Kolleg:innen anderer medizinischer Fächer die Versorgung von Patient:innen bei der Volkskrankheit Koronare Herzkrankheit weiter verbessern könnten. Wir müssen mehr KHK Patient:innen leitliniengerecht untersuchen. Das Problem ist im Moment die fehlende Vergütung der innovativen, radiologischen Verfahren in der gesetzlichen Krankenversicherung. An dieser Stelle müssen wir etwas ändern.

Ein Blick auf das Thema „Berufspolitik“ – wo steht die Radiologie aktuell?
Da wir ein Querschnittsfach sind, müssen wir unsere Positionen proaktiv vertreten und den Mehrwert der Radiologie darstellen. Dazu gehört etwa, zu zeigen, dass Radiologie von Radiolog:innen gemacht wird und nicht von Kolleg:innen anderer Fachrichtungen. Uns ist das bewusst, aber etwa den Patient:innen nicht immer. Wir treten bei den Patient:innen nicht genug in Erscheinung. Auch in der Politik wird die Radiologie nicht immer so wahrgenommen, wie sie es sollte. Das müssen wir ändern. Die Gründung der AG Gesundheitspolitische Verantwortung ist dabei ein wichtiger erster Schritt. Insofern gehe ich auch den Weg, den mein Vorgänger Professor Gerald Antoch mit seiner exzellenten Arbeit eingeschlagen hat, weiter.

Sollte sich die Radiologie auch stärker im Bereich Weiterbildung engagieren?
Mit der neuen Musterweiterbildungsordnung haben wir erst einmal einen Status Quo erreicht. Jetzt geht es eher darum, ihre Inhalte umzusetzen und sie in die Weiterbildung der Assistenzärzt:innen zu integrieren. Dazu hat das „Forum Junge Radiologie“ mit dem Weiterbildungs-Curriculum einen tollen Vorschlag erarbeitet, den wir hoffentlich zeitnah den DRG-Mitgliedern zur Verfügung stellen können. Dann wollen wir die im Curriculum festgelegten Ziele inhaltlich füllen und intelligent mit Lernangeboten, vor allen Dingen aus unserer digitalen Lernplattform „conrad“, vernetzen.

Sie haben die Forschung erwähnt. Wie könnte die Radiologie sich hier noch besser aufstellen?  
In der Forschung bin ich sehr für Interdisziplinarität. Ich bin in die Radiologie gegangen, weil ich Spaß an der Mathematik, der Physik und der Informatik habe. Das sind in den nächsten Jahren auch unsere wichtigsten Partner in der Forschung. Wenn wir an die Künstliche Intelligenz denken, ist interdisziplinäre Forschung der Schlüssel zum Erfolg. An dieser Schnittstelle möchte ich während meiner Präsidentschaft die Kommunikation mit den MINT Fächern weiter verbessern, um nicht auf der Stufe von fächerübergreifenden Kooperationen steckenzubleiben. Wir brauchen Interdisziplinarität die zu echter Interaktion und einer Verschmelzung der Ziele führt. Aber, im deutschen Hochschulsystem sind die Disziplinen die maßgeblichen Einheiten für die Organisation von Forschung und Lehre, und leistungsfähige Disziplinen sind die wichtigste Voraussetzung für gelingende Interdisziplinarität. Daher  brauchen wir darüber hinaus auch viele gute radiologische Forschungsanträge, vor allem natürlich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und  starke Vertreter:innen der Radiologie in den Strukturen der DFG sowie den DFG-Fachkollegien.

Wie sehen Sie die Radiologie im Bereich der akademischen Lehre verortet?
Die akademische Lehre hat große Bedeutung und wird bereits in der DRG bearbeitet. Wir haben vor zwei Jahren die Vorstandskommission Lehre gegründet, die ich als President-elect leiten durfte. Auch in der akademischen Lehre stehen wir vor gravierenden Veränderungen. Die Einführung oder Weiterentwicklung des nationalen, kompetenzbasierten Lernzielkatalogs, des NKLM, orientiert sich im Medizinstudium nicht mehr unbedingt an Fächern und Disziplinen wie wir es gewohnt waren. Der NKLM orientiert sich an Wissen und Handlungskompetenzen. Für Querschnittsfächer wie die Radiologie ist es sehr schwierig, sichtbar zu bleiben und Studierende für unser Fach zu begeistern. Dabei ist das eine unserer zentralen Aufgabe in der Lehre. Und an dieser Stelle profitieren wir jetzt mal ausnahmsweise von Covid-19, da es uns ohne die Pandemie ganz sicher nicht gelungen wäre, so schnell neue digitale Lernformate und -inhalte zu entwickeln und flächendeckend einzusetzen. Durch die extrem engagierte Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in der unirad-Arbeitsgruppe haben wir die Transition zur digitalen Lehre sicher besser gemeistert als die meisten anderen Fächer. Darauf können wir jetzt perfekt aufbauen, um gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fächer neue interdisziplinäre Lehrveranstaltung zu entwickeln, die digitale Formate und Präsenzveranstaltungen kombinieren und in denen die Radiologie dauerhaft sichtbar ist.

Wo steht die Radiologie beim Thema Digitalisierung?
Im Bereich Digitalisierung haben wir vor vielen anderen Fächern einen großen Vorsprung. Wir haben damit deutlich früher begonnen als die meisten anderen Fächer. Das Potenzial der Digitalisierung ist aber auch für uns noch lange nicht ausgeschöpft. Wenn ich etwa mit meinem Handy über eine Applikation einen Flug buche, werde ich sofort gefragt, ob ich zum Beispiel auch ein Hotel benötige. Wenn ich in bei der Befundung eine Pathologie erkenne, könnte mir ein digitaler Assistent auch sagen: Dazu gibt es schon einen Vorbefund. Oder: Guck dir dazu mal diese Laborwerte an. Das muss ich mir aktuell mühsam selber extrahieren. Da stelle ich mir zum Beispiel ein intelligenteres Arbeitsumfeld vor.

Welche weiteren Themen liegen Ihnen am Herzen?
Hier möchte ich als erstes das Thema Diversity, Vielfalt, nennen. Bereits der 92. Deutsche Röntgenkongress 2011 hatte den Titel „Radiologie ist Vielfalt“. Dann, daran werden sich die meisten noch sehr gut erinnern: Der grandiose 100ste Röntgenkongress 2019 in Leipzig mit dem Titel „Einheit in Vielfalt“. Gemeint war hier aber in erster Linie immer die Vielfalt der Methoden und klinischen Anwendungen unseres Fachs, die wir als Querschnittsbereich zweifelsfrei anzubieten haben. Aber Vielfalt ist sehr viel mehr und das möchte ich in der Deutschen Röntgengesellschaft und in der Radiologie stärker verankern. Eine Erfolgsgeschichte ist dabei das bereits erwähnte Forum Junge Radiologie. Durch die tolle Arbeit, die das Forum in den letzten Jahren geleistet hat, ist es uns gelungen, auch angehende Radiolog:innen für unsere Fachgesellschaft zu begeistern und sie aktiv einzubinden. Diesen Austausch möchte ich ausbauen und weiter verstetigen. Wir haben letztes Jahr eine Kommission Diversity@DRG gegründet, für die es meiner Ansicht nach noch viel zu tun gibt. Als Präsident möchte ich dabei unterstützen, das Potenzial, das noch in der Breite unserer Mitglieder und in der Radiologie selbst schlummert, zu mobilisieren.

Das zweite Thema ist das der Interprofessionalität. Als President-elect der DRG war ich Vertreter der Fachgesellschaft im Vorstand der VMTB, der Vereinigung der Medizinisch-Technischen Berufe in der Röntgengesellschaft. Wir haben das neue MTA-Gesetz gemeinsam mit dem DVTA und den radiologischen Fachgesellschaften in seiner Entstehung intensiv begleitet. Insgesamt ist es ein großer Schritt in die richtige Richtung, aber es sind auch nicht alle unsere Wünsche und Ideen im neuen Gesetz berücksichtigt worden. Als DRG-Präsident möchte ich deshalb dabei unterstützen, das Berufsbild der Medizinischen Technolog:innen weiter zu entwickeln. Hier wird uns etwa das Thema Teil-Akademisierung sicher weiter begleiten.

Vielen Dank für das Gespräch!