INTERVIEW

Wie kann die Radiologie bei Rückenschmerzen helfen?

Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit. Sie betrifft besonders Menschen mittleren Alters zwischen 30 und 50 Jahren. Oft klingen die Schmerzen in wenigen Wochen wieder ab, etwa 10 bis 20 Prozent der Rückenschmerzen halten jedoch länger an. Prof. Dr. Kai Wilhelm, Chefarzt der Radiologie am Johanniter-Krankenhaus und Waldkrankenhaus Bonn, erklärt in diesem Interview, welche Therapien es gegen Rückenschmerzen gibt, bei denen Ärztinnen und Ärzte radiologische Verfahren einsetzen.

Herr Professor Wilhelm, Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit. Welche radiologischen Verfahren gibt es, um diese Krankheit zu behandeln?  
Um akute und chronische Rückenschmerzen zu behandeln und konservative Therapien zu unterstützen, haben sich Injektionsverfahren bewährt, die mithilfe der Computertomografie (CT) durchgeführt werden. Teils machen diese Verfahren Operationen überflüssig. Die bildgesteuerte Rückenschmerztherapie ist eine etablierte Therapie, Ärzt:innen wenden sie immer dann an, wenn eine Schmerztherapie mit Medikamenten oder eine Physiotherapie bei Patient:innen nicht erfolgreich ist.

Prof. Dr. Kai Wilhelm © Johanniter-Krankenhaus und Waldkrankenhaus BonnWelches sind die häufigsten minimal-invasiven Schmerztherapieverfahren an der Wirbelsäule?
Um chronische Schmerzen bei Wirbelsäulenerkrankungen im Bereich der Hals- oder Lendenwirbelsäule zu behandeln, haben sich die CT-gestützten Verfahren Periradikuläre Therapie (PRT), die Facettengelenksinfiltration und die epidurale Injektion bewährt. Die meisten Patient:innen haben Schmerzen durch Bandscheibenvorfälle oder Bandscheibenvorwölbungen, Einengungen des Rückenmarkskanals oder der Nervenaustrittslöcher aufgrund von Verschleiß der kleinen Wirbelgelenke. Häufig müssen jedoch auch Patient:innen mit weiterhin bestehenden Schmerzen nach einer erfolglosen Bandscheiben-Operation mit narbigen Veränderungen, dem sogenannten „Postnukleotomie-Syndrom“, behandelt werden.

Könnten Sie uns Näheres zur PRT-Therapie sagen?
Ja. Bei der PRT wird unter bildgebender Kontrolle der CT mithilfe einer Injektionsnadel das Medikament direkt an oder um die betroffene Nervenwurzel injiziert. Es handelt sich meist um eine lokale Betäubung und ein Kortisonpräparat, letzteres soll die Entzündung eindämmen. Patient:innen, die für diese Art der Therapie in Frage kommen, leiden meist unter akuten Schmerzen an der Wirbelsäule, etwa in Folge eines Bandscheibenvorfalls, deren Schmerzen zum Teil ins Bein einschießen, wobei aber eine Lähmung noch nicht eingetreten sein darf. Der Effekt der Therapie der PRT beruht vor allem darauf, ein entzündungshemmendes Medikament möglichst nahe an die gereizte und geschwollene Nervenwurzel zu injizieren, um den Teufelskreis aus Druck, Schwellung und noch mehr Druck zu unterbrechen.

Möchten Sie mehr über bildgesteuerte Schmerztherapien erfahren? Dann empfehlen wir Ihnen die aktuelle Informationsbroschüre der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Therapie e.V. (DeGIR): https://www.unserebroschuere.de/degir/WebView/ 


Die Facettengelenksinfiltration bezieht sich auf die kleinen Wirbelgelenke. Welche Patient:innen kommen dafür in Frage und wie läuft sie ab?
Arthrose, also Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke, führen zu einem Abrieb, der mit Schmerzen verbunden ist. Hierbei kommen ebenfalls ein Lokalanästhetikum und ein Kortikosteroid wie bei der PRT zum Einsatz. Diese werden mit einer Injektionsnadel um das Facettengelenk injiziert. Hat der:die Ärzt:in mithilfe dieser diagnostischen Blockade bestimmte Facettengelenke als Ursache der Schmerzsymptomatik identifiziert, ist mit einer nachfolgenden Denervation der Facettengelenke möglich, durch einen minimal-invasiven Eingriff eine dauerhafte Schmerzlinderung zu erzielen.

Was passiert bei der epiduralen Injektion?
Diese Technik wird insbesondere bei Patient:innen mit Problemen im Wirbelkanal, zum Beispiel bei längerstreckigen Einengungen, eingesetzt. Geht man noch tiefer mit der Injektionsnadel bis an die Nervenhaut, kann man in mehreren Höhen der Wirbelsäule den Schmerz ausschalten. Es ist wichtig, dass die betroffene Person vorher klinisch gut untersucht wurde, damit klar ist, welche Wirbelsegmente betroffen sind. Wir sagen, der klinische und der bildgebende Befund müssen übereinstimmen.

Periradikuläre Therapie (PRT): Unter CT-Kontrolle wurde eine Feinnadel bis an die Nervenwurzel herangebracht. © Wilhelm/Johanniter-Krankenhaus und Waldkrankenhaus BonnReicht jeweils eine der oben beschriebenen Behandlungen aus, um für Patient:innen Schmerzfreiheit zu erlangen?
Häufig gelingt es, die Schmerzen schon nach dem ersten Eingriff zu mindern. Bei jedoch starker Schwellung der Nervenwurzel kann der Eingriff zwei- oder dreimal nötig sein. In Abständen von Tagen bis zu Wochen kann der Eingriff in Abhängigkeit von der Schmerzsymptomatik dann wiederholt werden, damit die chronische Entzündung geheilt wird.

Bei welchen Patient:innen dürfen Ärzt:innen diese schmerztherapeutischen Eingriffe nicht anwenden?
Es handelt sich um einen aufklärungspflichtigen Eingriff. Patient:innen, die durch einen Bandscheibenvorfall bereits Lähmungen haben oder solche mit Infekten, Wirbelsäulen- oder Hautentzündungen dürfen so nicht therapiert werden. Ausgeschlossen sind auch Patient:innen, die Blutverdünner einnehmen, oder solche, die allergisch gegen die eingesetzten Medikamente reagieren.

Wohin geht der Trend? Wäre eine MRT-gestützte Injektion nicht günstiger für Patient:innen, weil sie ohne Röntgenstrahlung auskäme?
Die CT ist wegen ihrer größeren Verfügbarkeit, hohen örtlichen Auflösung und schnellen Bildaquisition im Vorteil, außerdem lassen sich mit dem CT derzeit knöcherne Strukturen noch besser darstellen. Beim MRT ist im Moment der zeitliche Aufwand sehr hoch, zusätzlich sind die herkömmlichen Injektionsnadeln ungeeignet.

(Aktualisiert am 14. März 2022)

veröffentlicht am Freitag, 12. März 2021