Festvortrag: Die Bedeutung der Normung für die radiologische Praxis

Prof. Dr. Norbert Hosten, Greifswald

Freitag, 3. Mai 2013, 16.30 Uhr, Remscheid-Lennep

Festvortrag

Die Bedeutung der Normung für die radiologische Praxis

Sehr verehrter Herr Professor Mathias,
sehr verehrte Frau Mathias,
meine Damen und Herren,

wir sind heute hier zusammen gekommen, um Herrn Prof. Dr. med. Dr. h. c. Klaus Mathias als Vorsitzenden des Normenausschlusses Radiologie feierlich zu verabschieden.

Verehrter Herr Professor Mathias,

Sie sind seit 1995 Vorsitzender des Normenausschusses Radiologie, dem NAR, gewesen und haben einen wesentlichen Aspekt der Deutschen Radiologie fast 20 Jahre lang entscheidend geprägt. Sie haben dies neben einer anderen, für sich allein schon aufreibenden Leitungstätigkeit in einer sehr großen akademischen Einrichtung, der Radiologischen Klinik im Klinikum Dortmund geleistet. Sie waren in dieser Zeit als Professor der Radiologie Mitglied der Medizinischen Fakultät der Universität Münster. Die heutige Festveranstaltung ist ein Dank der Deutschen Röntgengesellschaft für Ihre ehrenamtliche, d.h. unbezahlte, Freizeit-verzehrende Tätigkeit.

Jedes Fachgebiet und jede Gemeinschaft lebt von dieser ehrenamtlichen Tätigkeit der Mitglieder. Diese ehrenamtliche Tätigkeit wird – erstaunlicherweise - immer von gerade denjenigen geleistet, die sich schon durch ein mehr als erfülltes und erfolgreiches Berufsleben auszeichnen und die eigentlich gar keine Zeit haben sollten, daneben noch Aufgaben für die Gemeinschaft zu übernehmen.

Verehrter Herr Professor Mathias, wenn wir nun Ihre Arbeit würdigen wollen, so lassen Sie mich mit einer Frage beginnen, die für die einen im Raum keine ist, für alle anderen aber von großer Wichtigkeit: Was ist nun Normung und warum ist sie für die Radiologie von so großer Bedeutung?

Wir alle sind ja wahrscheinlich beim DIN A4-Papier zum ersten Mal mit dem Begriff der Normung in Berührung gekommen und es sei hier angemerkt, dass im Beispiel die DIN Norm für Papiere das alte Folio-Format von 21 x 33 cm abgelöst hat. So, wie es für die Papierformate Normen gibt, so haben wir – glücklicherweise möchte man ergänzen – Normen auch für alles, was wir in unserem Beruf als Radiologen oder andere brauchen. Der Normenausschuss Radiologie definiert heute diese Normen. Er wurde 1927 als „Normenstelle der Deutschen Röntgengesellschaft“ gegründet. 1930 verabschiedete der Normenausschuss die erste Norm – ich zitiere sie hier, „DIN Rönt 1 Vorschriften für den Hochspannungsschutz in medizinischen Röntgenanlagen“. Heute betreut der NAR mehr als 150 Normen. Die Hälfte dieser Normen wird international (International Electrotechnical Commission, IEC) entwickelt, der NAR bringt bei den entsprechenden Sitzungen die deutsche Meinung ein. Die Pioniere unseres Fachs, die zu Zeiten der Gründung des Ausschusses noch tätig waren, waren ja alle in stärkerem Maße an der technischen Entwicklung ihrer Arbeitsgeräte beteiligt, als wir dies heute mit der zunehmenden Spezialisierung noch sein können. Diese frühe Beteiligung unserer radiologischen Vorväter hat uns die Unabhängigkeit in der Normung erhalten. 1968 hat es ja bereits einen Vertrag zwischen dem Vorläufer des Deutschen Instituts für Normung, dem DIN und der Deutschen Röntgengesellschaft gegeben, wonach der Normenausschuss Radiologie ein Ausschuss der DRG ist. 1976 wurde dies ergänzt durch einen Vertrag zwischen DRG, DIN und VDE, der die Zusammenarbeit auch zwischen dem NAR und der Deutschen Elektrotechnischen Kommission festschrieb. Die Geschäftsstelle wurde 1951 neu gegründet und die Gründung der Geschäftsstelle war sicherlich der entscheidende Schritt, um Unabhängigkeit im DIN zu gewinnen. Finanziert wird die Geschäftsstelle im Übrigen vom ZVEI. In den Ausschüssen des NAR arbeiten heute etwa 170 Teilnehmer mit, 40 % Medizinphysiker und Ärzte, 31% Hersteller, die übrigen sind Behördenvertreter, Forscher und Vertreter der Assistenzberufe. Dass Nuklearmedizin und Strahlentherapie mit betreut werden, erscheint selbstverständlich; aber auch MRT und Sonographie sind dazugekommen. Der NAR hat sich heute folgende Arbeitsausschüsse gegeben: Dosimetrie, Strahlenschutz, Nuklearmedizin, Informationsverarbeitung, Strahlentherapie, Bildgebende Systeme, Magnetresonanzverfahren - ein breites Spektrum eben.

Sie selbst, Herr Professor Mathias, sind vor 32 Jahren, 1981 also, in den Normenausschuss für Radiologie gegangen. Noch heute, und daran haben Sie, Herr Professor Mathias, durch Ihre moderierende und vermittelnde, aber auch politisch erfolgreiche Tätigkeit besonderes Verdienst, ist der Normenausschuss Radiologie nicht ein inneres, d.h. im Deutschen Institut für Normung, DIN, aufgestellter und damit abhängiger Ausschuss, sondern ein externer, der mit größerer Unabhängigkeit arbeiten kann. Dass die Normung immer auch firmenpolitisch von besonderer Bedeutung ist, braucht im Kreis der Radiologen nicht extra betont zu werden. „Wer die Norm setzt, bestimmt den Markt“ heißt es in schöner Offenheit in der Imagebroschüre des NAR, wo Normung auch, ich betone auch, dem strategischen Marketing zugeordnet wird.

Sehr geehrter Herr Professor Mathias, Sie sind nicht nur Vorsitzender des NAR, sie sind auch seit 32 Jahren Mitglied des Normenausschusses Radiologie, begonnen haben Sie im Arbeitsausschuss 4. Sie berichteten mir, dass Ihr Lehrer, Professor Wentz aus Freiburg, Sie früh und anlässlich der damals gerade anstehenden Besetzung des AA 4 im NAR, darauf hingewiesen hat, dass eine Mitarbeit in einem Gremium der DRG Ihrer Bekanntheit kaum schädlich sein könne. Ein doppelt weiser Rat, wenn ich an den Sinnspruch erinnern darf „Wenn man jung ist, weiß man nicht, warum man nicht gefragt wird und wenn man alt ist, weiß man nicht, wen man fragen soll.“ Sie sind sehr jung in eine leitende Position berufen worden, mit 38 Jahren zum Leiter der Dortmunder Radiologie. Es ist ja in allen Gesellschaften ein guter und erfolgreicher Brauch, die und nur die mit wichtigeren Dingen zu betrauen, die zu den vermeintlich unwichtigeren erst einmal hingegangen sind.

Sie haben mir berichtet, Herr Professor Mathias, wie Sie als klinisch tätiger Radiologe, ja, als Radiologe mit einem Schwerpunkt in der Interventionsradiologie, dem Manuellen also, die Fachsprache, die Diskussionen, die Herangehensweisen im AA4 des Normenausschusses als neu Hinzugekommener wahrgenommen haben. Sie haben aber auch berichtet, und das kann den Jüngeren auch Ermutigung sein, wie mit Ihrer ersten selbst durchgebrachten Norm das ganze Vorgehen auf einmal deutlich wurde und wie Sie dann in der Folge in die Ausschussarbeit hineinwuchsen. So wird es vielen gehen, die Aufgaben übernehmen und es ist sicherlich ein guter Hinweis, sich immer mit den besten zu streiten, denn da gibt es am meisten zu lernen. Es ist ja auch eine Besonderheit, dass man oft zu einem Zeitpunkt in eine Aufgabe berufen wird, wo man sagen möchte „Nächstes Jahr gern!“ Aber im nächsten Jahr wird man eben nicht mehr gefragt und weil Sie das nicht gesagt haben sitzen wir jetzt hier.

Wie jedes medizinische Fachgebiet, so hat auch die Radiologie ihre Besonderheiten. Um hier einen Einstieg zu geben, möchte ich unsere Aufmerksamkeit darauf leiten, dass die Radiologie eines der ganz wenigen medizinischen Fachgebiete ist, bei denen ein Aufenthalt in den USA für eine Karriere nicht unbedingt erforderlich ist.

Warum ist das so? Wir alle schätzen den jährlichen Kongress der RSNA in Chicago, von dessen Besuch man doch in aller Regel optimistisch und mit neuer Zuversicht für die eigene Arbeit und die zu erwartenden Erfolge zurückkehrt. Dies speist sich wohl auch aus dem Pragmatismus der Amerikaner und ihrer schnörkellosen und zielorientierten Arbeitsweise. Dies speist sich weit weniger aus wissenschaftlichen oder gar gerätetechnischen Erkenntnissen, die man dort etwa aus den Vorträgen gewonnen hätte. Sicherlich sind die Röntgenstrahlen in Deutschland entdeckt worden. Es ist dies aber eine Entdeckung gewesen, die auf einen für unseren Nationalcharakter fruchtbaren Boden gefallen ist wie sonst höchstens noch das Automobil, aber leider weit weniger die Entdeckungen eines Konrad Zuse. Wir sind nun einmal ein Volk der Ingenieure und das Gerät des Röntgenarztes ist ja immer noch durch Ingenieurskunst bestimmt. Wir haben das Glück unter den Industrieunternehmen, die Röntgengeräte im weiteren Sinne bauen, wichtige, wenn nicht den oder die wichtigsten Vertreter in unserem Land zu wissen. Bei aller Globalisierung ist es nicht unerheblich, dass wir die Sprache des Herstellers sprechen, und dass wir ihn mit einer kurzen Reise erreichen können, um Neues zu sehen und Neues zu erlernen. Unser Fachgebiet, die Radiologie, lebt wie die verwandten Gebiete Nuklearmedizin und Strahlentherapie von diesem ganz engen Kontakt zu dem Hersteller unserer Arbeitsgeräte. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil unser Fachgebiet, mobil wie es ist, die Innovation überprüft und wenn sie für gut befunden wird, in die tägliche Arbeit hineinträgt. Dass uns manches im Laufe der Zeit von begünstigteren Disziplinen aus den Händen gewunden wird, ist unerfreulich, aber hält uns auch wach. Mein eigener Lehrer pflegte dies in den Satz zu fassen: „Wenn ihnen als Radiologe nix Neues mehr einfällt, dann sind sie überreif für die Rente“.

Hier kommt nun Normung gleich mehrfach ins Spiel. Mit einem entwickelnden Gerätehersteller im eigenen Land gibt es selbstverständlich ganz andere Möglichkeiten, sich in die Entwicklung einzubringen, als wenn Geräte nur importiert werden. Diese Möglichkeit, die wir in Deutschland haben, ist aber auch eine Verpflichtung. Ein Fach wie die Radiologie, das von der Innovation lebt, und diese Innovation als technische in die Behandlung der ihm anvertrauten Patienten einbringt, muss sich Regeln geben. Die Prüfung der Innovation muss Sicherheitsprobleme erkennen lassen. Dies betrifft nicht nur einer unserer nationalen Obsessionen – sie wissen, dass in unserem Land der Wald, der Datenschutz und der Strahlenschutz in ihrer wahrgenommenen Bedeutung vieles andere überstrahlen – es geht auch um Sicherheitsprobleme, die z. B. der Hochspannungsschutz aufwirft. Von Denken her ist dem Radiologen ja der Ingenieur, in geringerem Maße auch noch das kompliziertere Völkchen der Physiker am nächsten. Mit diesen Disziplinen und von ihrem Sachverstand geleitet, sorgt die Normung dafür, dass das installierte Gerät Patienten und Bedienpersonal nicht gefährdet. Dass der Strahlenschutz von besonderer Bedeutung ist, diese Erkenntnis hat ja gerade die 1. Generation der Radiologen zu oft mit dem eigenen Leben bezahlt. Dass die installierten Geräte, die verwendeten Materialien den Ansprüchen genügen, dies hat für die Röntgentechnik der Normenausschuss Radiologie wie ausgeführt bereits in den 20iger des vorigen Jahrhunderts sichergestellt. Dies ist nicht selbstverständlich. Funktionieren diese Selbstverwaltungs-Mechanismen nicht, braucht es jemanden wie den Verbraucheranwalt Ralph in den USA, - sein Buch hieß bezeichnenderweise „Unsafe at any speed“ - der dafür sorgte, dass die verkauften Autos fuhren und dass sie auch noch mit Sicherheitseinrichtungen wie Gurten, Teleskop-Lenksäulen und anderem ausgerüstet waren, welches ein Überleben der Insassen bei auch nur kleineren Unfällen gewährleistete. Dies hat Ralph Nader erst in den 60iger Jahren des vorigen Jahrhunderts erkämpft. Es erscheint uns heute selbstverständlich, dass war es aber sicherlich nicht.

Die Radiologie war hier wesentlich schneller. Für das verwendete und wieder verwendete Material für Filme und Kassetten hat der Normenausschuss Radiologie Abmessungsnormen geschaffen, die zweckmäßig sind und einen Wettbewerb ermöglichen. Auch dies war keine Selbstverständlichkeit, wenn man an andere Lebensbereiche denkt. Unter die weniger oder nicht fassbaren Normen gehören die, die messtechnische Verfahren festlegten. Ein Beispiel aus der Praxis, das uns alle die Bedeutung der Normung immer wieder vor Augen führt, mag das folgende sein:

Seit Einführung der neuen Röntgenverordnung 1987 sind Abnahme und Konstanzprüfung wesentliche Bestandteile der Qualitätssicherung von Röntgeneinrichtungen. Gerade die Konstanzprüfung ist dem Betreiber hier besonders gut gegenwärtig, da er selbst für sie verantwortlich ist und sie mit seinem medizintechnischen Personal selbst durchführen muss. Im Klartext: er bezahlt sie. Anwender in den Kliniken zusammen mit Medizinphysikern und den Herstellern haben sich hier auf ein Vorgehen geeinigt, das den zeitlichen Aufwand und die Kosten für die Prüfungen auf das Maß begrenzt, das die Patientensicherheit gewährleistet. Verschwendung wird nicht betrieben. Mit Recht wurde daran erinnert, dass diese Selbstverwaltung, denn das ist sie, einem von außen herangetragenen Vorgehen überlegen sein muss.

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Gottfried Keller, der ja über funktionierende Gesellschaften geschrieben hat, in denen jedes Mitglied seinen Platz hat und nach seinen Kräften seinen Beitrag leistet, prägte im „Fähnlein der sieben Aufrechten“ den schönen Spruch, leicht abgewandelt

„Andere Fachgebiete achtet man, sein eigenes liebt man.“

Lieber Herr Professor Mathias,

Sie haben unser Fachgebiet sicherlich geliebt und ihre 18jährige Tätigkeit als Leiter des Normenausschusses Radiologie, die sie ja freiwillig geleistet haben, ist davon ein schöner und erfolgreicher Ausdruck. Sie haben mich im Vorgespräch zu dieser Rede darauf hingewiesen, dass die Ehrung immer am Ende kommt und nicht am Anfang und dass sie deshalb immer mit der Wehmut des Abschieds gemischt ist. Sie haben in diesem Gespräch aber auch eine wichtige Bemerkung gemacht, die die Wehmut relativieren kann: die Vielzahl an endovaskulären Interventionen, die Sie in Ihrer Klinik durchgeführt haben (Sie werden diese Tätigkeit die nächsten Jahre in Hamburg am St. Georg fortsetzen) verdanken sich, so sagten Sie, der Tatsache, dass Sie sich eine eigene Station erkämpft haben und Zuweisungen direkt von außen bekamen, 80 % aller Interventionen. Die DRG diskutiert zurzeit eine Management-Sommerschule für den Nachwuchs. Wie man eine Interventionsstation betreibt, die Tipps und Tricks, die Sie in der Erfahrung gewonnen haben, das ist ein Wissen, das wir mit einer solchen Schule für den Nachwuchs erhalten wollen und wir hoffen, Sie für Vorträge dort gewinnen zu können.

Sehr verehrter Herr Prof. Mathias, im Namen der Deutschen Röntgengesellschaft danke ich Ihnen für Ihre langjährige Tätigkeit im Normenausschuss Radiologie und wünsche Ihnen alles Gute für die nächsten Jahre!