INTERVIEW
Lernen neu gedacht: Mit Innovation und Teamgeist in die Zukunft der Radiologie
Wie kann moderne Radiologie-Lehre aussehen? Professor Sebastian Reinartz zeigt es an der Uniklinik Jena: Mit strukturierten Curricula, interaktiven Plattformen, 3D-Technologien und ersten KI-Ansätzen bereitet er Studierende praxisnah auf die Medizin von morgen vor. Im Fokus stehen dabei nicht nur fachliches Wissen, sondern auch Teamarbeit, Eigenverantwortung und eine neue Lernkultur, die Innovation und Interdisziplinarität aktiv fördert.
Herr Professor Reinartz, seit etwa einem halben Jahr lehren Sie an der Uniklinik Jena. Wie gestalten Sie ihre Angebote an die Studierenden und welche Konzepte setzen Sie dabei ein?
Prof. Reinartz: An der Uniklinik Jena haben wir im Team ein strukturiertes Lehrkonzept entwickelt, das die Lehre auf drei wesentliche Säulen stützt: Information – Interaktion - Repetition. Dabei legen wir besonders großen Wert darauf, dass Theorie und Praxis miteinander verzahnt sind. Beispielsweise im Rahmen unseres Tagespraktikums, das ein zentrales Element der Ausbildung darstellt, durchlaufen die Studierenden ein präzise geplantes Curriculum. Dieses basiert auf didaktischen Prinzipien, etwa der Peyton-Methode, die schrittweises, aktives Lernen in kleinen Einheiten ermöglicht. Darüber hinaus fördern wir eine offene Feedback-Kultur, die es den Studierenden erlaubt, eigene Lernfortschritte zu reflektieren und sich gezielt weiterzuentwickeln.
Ein weiteres besonderes Angebot ist unser Wahlpflichtseminar „BAM! – Bildgebung am Meilenstein (M2)“, das speziell auf die Vorbereitung zum zweiten Staatsexamen zugeschnitten ist. In einem kompakten dreitägigen Kurs wiederholen und vertiefen wir die gesamte Bandbreite der Radiologie – von der Sonographie über das konventionelle Röntgen bis hin zu moderner Schnittbildgebung wie CT und MRT sowie der interventionellen Radiologie.
Ein Highlight unserer Lehrstrategie wird zeitnah der Einsatz von 3D-Brillen-Systemen sein. Diese werden es den Studierenden ermöglichen, anatomische Strukturen dreidimensional zu erfassen. Das erleichtert nicht nur das Verständnis der Anatomie erheblich, sondern ist auch bei der Interpretation komplexer Bildgebungsbefunde, wie sie beispielsweise in der Computertomographie oder Magnetresonanztomographie auftreten, von unschätzbarem Wert.
Prof. Reinartz engagiert sich in besonderem Maße in der akademischen Lehre. Für seine herausragende Lehrtätigkeit wurde er unter anderem mit dem Lehrpreis der RWTH Aachen sowie dem Eugenie-und-Felix-Wachsmann-Preis der Deutschen Röntgengesellschaft ausgezeichnet. Er ist aktives Mitglied der Vorstandskommission Lehre der Deutschen Röntgengesellschaft und Mentor in verschiedenen wissenschaftlichen Förderprogrammen wie TANDEMmed. |
Apropos: Welche Rolle spielen digitale Technologien und Künstliche Intelligenz in Ihrer Lehre, und wo sehen Sie künftige Entwicklungsmöglichkeiten?
Digitale Technologien haben in der radiologischen Ausbildung inzwischen eine zentrale Bedeutung erlangt. Plattformen wie conrad sind aus der modernen Lehre nicht mehr wegzudenken. Sie bieten die Möglichkeit, Bildgebungen didaktisch optimal aufzubereiten, interaktive Fallbeispiele zu integrieren und den Lernstoff damit praxisnäher zu gestalten. Ich nutze conrad bei jeder sich bietenden Gelegenheit, da es mir erlaubt, Lehrinhalte flexibel anzupassen und individuell auf die Studierenden einzugehen.
Gleichzeitig sehe ich noch großes Potenzial für Weiterentwicklungen: Eine übersichtliche strukturierte Befundungsmaske, die Ergebnisse visualisiert und Zusammenhänge klar darstellt, würde die Plattform weiter aufwerten. Besonders spannend wäre auch die Integration von KI-Tools, die Lerninhalte dynamisch aufbereiten und individualisieren könnten.
Was die Rolle von Künstlicher Intelligenz betrifft: Derzeit spielt KI in der Ausbildung noch eine untergeordnete Rolle. Perspektivisch könnte sie aber eine enorme Bereicherung darstellen. Ich denke dabei an virtuelle Anamnese-Partner oder simulierte zuweisende Ärzte, die es den Studierenden ermöglichen, klinische Szenarien realistisch zu durchlaufen und wichtige kommunikative sowie diagnostische Fähigkeiten zu trainieren. Wir arbeiten bereits mit Experten aus der Informatik und Didaktik an Konzepten, um solche KI-gestützten Lehrmethoden sinnvoll in die Ausbildung zu integrieren.
Wie fördern Sie Teamarbeit und interdisziplinäre Zusammenarbeit in der radiologischen Ausbildung?
Teamarbeit ist für eine funktionierende Radiologie von zentraler Bedeutung. Im klinischen Alltag ist niemand allein tätig – Radiologinnen und Radiologen arbeiten eng mit MTRs, Pflegepersonal und Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen zusammen. Kommunikationsprobleme sind eine häufige Ursache für Fehler, daher ist es essenziell, bereits in der Ausbildung ein tiefes Verständnis für interdisziplinäre Zusammenarbeit zu schaffen.
In der Lehre berücksichtigen wir diese Aspekte aktiv: Studierende sollen nicht nur die radiologische Diagnostik beherrschen, sondern auch lernen, wie wichtig reibungslose Abstimmungsprozesse und respektvolle Kommunikation im Team sind.
Um diese Fähigkeiten gezielt zu fördern, haben wir das Projekt „Teamboarding“ ins Leben gerufen. Anders als klassische Top-Down-Entscheidungen setzt Teamboarding auf die aktive Beteiligung aller relevanten Akteure. Ein multidisziplinäres Team aus Ärztinnen, Ärzten, MTRs und Organisationskräften erarbeitet gemeinsam Lösungen für konkrete Herausforderungen. Diese partizipative Herangehensweise hat sich besonders bei komplexen Aufgabenstellungen bewährt und fördert die Erfahrung von Selbstwirksamkeit – ein entscheidender Faktor für Motivation und langfristige Arbeitszufriedenheit.
Wie schätzen Sie die aktuelle Nachwuchssituation in der Radiologie ein, und welche Maßnahmen halten Sie für notwendig, um junge Menschen für das Fach zu begeistern?
In der Radiologie haben wir glücklicherweise derzeit keine akuten Nachwuchsprobleme. Dennoch beobachten wir einen allgemeinen Trend, der die gesamte medizinische Ausbildung betrifft: Das Medizinstudium verliert an Attraktivität. Viele hochqualifizierte junge Menschen entscheiden sich zunehmend für alternative Karrierewege außerhalb der Medizin. Dieser sogenannte „Brain-Drain“ stellt die gesamte Branche vor große Herausforderungen.
Um diesem Trend entgegenzuwirken, müssen wir die Ausbildung noch praxisnäher gestalten und Arbeitsmodelle entwickeln, die eine bessere Work-Life-Balance ermöglichen. Es ist wichtig, dass Studierende frühzeitig den unmittelbaren Nutzen der Lehrinhalte erkennen. Sie müssen verstehen, dass radiologisches Wissen direkte Auswirkungen auf die Patientenversorgung hat.
In meinen Lehrveranstaltungen lege ich großen Wert darauf, den Studierenden zu vermitteln, welche Bildgebungsverfahren in welchem klinischen Kontext sinnvoll sind und welche therapeutischen Konsequenzen daraus entstehen können. Diese klinische Einordnung ist entscheidend, um das Fach Radiologie als lebendige, patientenorientierte Disziplin erfahrbar zu machen.
Herr Professor Reinartz, vielen Dank für diesen umfassenden Einblick in Ihre Lehrphilosophie und Ihre innovativen Projekte.
Sehr gerne. Ich freue mich, dass Themen wie interdisziplinäre Zusammenarbeit, Innovation und Eigenverantwortung immer stärker in den Fokus rücken. Passend dazu steht auch der aktuelle Röntgenkongress unter dem Motto „W.I.R. gestalten“ – ein schöner Ausdruck dafür, dass wir gemeinsam als radiologische Fachgemeinschaft die Zukunft unseres Faches aktiv mitgestalten können.