INTERVIEW

Neue Medical Device Regulation: MRT-Forschung in Gefahr?

Die neue europäische Medizinprodukteverordnung Medical Device Regulation (MDR) sowie ihre nationale Umsetzung durch das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz, kurz MPDG, werfen Fragen für die Forschung in Deutschland auf, speziell für die MRT-Forschung. Denn die MDR kann auch Folgen für die ethische und regulatorische Einordnung von Wissenschaft haben, die der Weiterentwicklung von MRT-Pulssequenzen dient. Die nun veröffentlichte Handreichung der Kommission zum Thema MDR der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), der Konferenz der Lehrstuhlinhaber für Radiologie e.V. (KLR) und radiologischer Fachverbände will Forschende informieren und in ihren Vorhaben unterstützen. Wir haben mit den beiden Hauptautoren der Handreichung gesprochen: Professor Konstantin Nikolaou, Vorsitzender der Kommission und Präsident der DRG, sowie Professorin Christiane Kuhl, Präsidentin Elect der Fachgesellschaft für die Jahre 2025 bis 2027.

Univ.-Prof. Christiane Kuhl © PrivatWarum wurde die Kommission Medical Device Regulation in der DRG gegründet?
Professorin Kuhl: Die Kommission wurde gegründet, weil nach Einführung der neuen MDR beziehungsweise der deutschen Auslegung dieses Gesetzes – das ist das „Medizinproduktverordnung-Durchführungsgesetz“, MPDG – viel Unsicherheit bei der Frage herrschte, wie wissenschaftliches Arbeiten in der Magnet-Resonanz-Tomographie an Unikliniken oder allgemein in forschenden Einrichtungen erfolgen kann. Es war zu befürchten, dass die Auslegungen des MPDG das wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Kernspin-Tomographie hierzulande deutlich erschwert hätten.

Könnten Sie das näher erläutern?
Professorin Kuhl: Jede und jeder Forschende hat ein hohes Interesse daran, Patientensicherheit zu gewährleisten. Aber so, wie die MDR bzw. das MPDG vielfach ausgelegt wurde, wäre für die Erprobung jeder neuen Pulssequenz in der MRT eine Anzeige oder gar eine Zustimmung durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erforderlich. Damit aber würden quasi alle wissenschaftlichen Aktivitäten in der Radiologie so behandelt, als würden wir die Inverkehrbringung eines neuen Medizinprodukts intendieren oder gar planen – was weit überwiegend ja nicht der Fall ist. Diese Auslegung des MPDG schien uns gerade für den Bereich der MRT auch deswegen über das eigentliche Ziel, also die Patientensicherheit, hinauszuschießen, weil sich in diesem Bereich durch Einsatz neuer, nicht CE-gelabelter Pulssequenzen kein besonderes Risiko für die Patientinnen und Patienten ergibt. Denn gerade bei der MRT wird ja täglich für jede Patientin und jeden Patienten die Pulssequenz individuell angepasst. Diese Anpassung bewegt sich immer in definierten technischen Sicherheitsgrenzen, die der Hersteller festlegt und die Teil der Zulassung des Magneten sind. Diese können durch Anwender nicht überschritten werden – weder für abgeänderte abgelegte Sequenzen, noch für sogenannte experimentelle Sequenzen, deren Nutzen man wissenschaftlich erforschen möchte. Und genau so argumentieren wir nun.

Prof. Konstantin Nikolaou © PrivatProfessor Nikolaou: Die Kommission hat verschiedene radiologische Fachgesellschaften eingebunden, sodass wir fachgruppenübergreifend agieren und uns untereinander abstimmen. Wir wollten aber auch ganz praktisch den im Bereich MRT forschenden Standorten helfen. Unsere Arbeit in der Kommission und auch die nun veröffentlichte Handreichung ist eine Umsetzungshilfe, mit der wir den Forschenden vor Ort bei der Kommunikation mit ihrer Ethikkommission helfen und ihnen Hinweise geben, damit die Forschung an den Standorten weiter möglich ist. Das MPDG will ja nichts Böses. Grundsätzlich will es medizintechnische Entwicklungen qualitativ so gestalten, dass klar ist, wann eine Technik oder eine Anwendung in ein Produkt übergeht. Es ist grundsätzlich gut und richtig, dass dies reguliert wird. Für eine MR-Forschung ist es aber zum Teil nicht anwendbar oder muss auch nicht angewendet werden, da andere, schon bestehende Regularien greifen und ausreichend sind.

Auf welche regulatorischen Schwierigkeiten stoßen Radiologinnen und Radiologen bei der MRT-Forschung in Deutschland momentan?
Professor Nikolaou: Vor allem auf die besprochenen und die damit verknüpften Fragen: Was ist eine wissenschaftliche, hypothesengetriebene Studie nach (Muster-) Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte „(M)BO-Ä“? Und: Wann greift bewusst und absichtlich das MPDG? Das ist die Regulatorik, die die Ethikkommissionen an den Standorten diskutieren. Diese Trennung ist schwierig und man muss sie gut erklären.

Kommen wir noch einmal auf das Thema, in welcher Hinsicht die MDR die radiologische Forschung in Deutschland einschränkt.
Professorin Kuhl: Mit der MDR sind die Auflagen noch sehr viel größer geworden. Sobald ein Medizinprodukt an einer Patientin oder einem Patienten eingesetzt wird, gilt das Regelwerk formal. Die Regeln zur Berufsordnung sind in der MDR bzw. dem MPDG primär nicht berücksichtigt. Wir deuten das so, dass das MPDG mit seiner Regulatorik nur für Studien Anwendung finden sollte, die zur Markt-Zulassung eines neuen Medizinprodukts intendiert ist (das ist eine Studie nach §62 MPDG), oder aber bei denen wir im Auftrag der Industrie eine Studie durchführen, quasi im Vorfeld einer möglichen zukünftigen Produktisierung durch den Hersteller (das ist eine Studie nach §82 MPDG).  Das sind jeweils ziemlich aufwändige Verfahren. Wir wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor zu viel Bürokratie schützen, zumal dieser zusätzliche regulatorische Aufwand keinen Mehrwert für die Patientinnen und Patienten und deren Sicherheit hat.  Dies umso mehr, als auch Forschungsprojekte unter der Berufsordnung für Ärzte mit vernünftigen regulatorischen Auflagen verbunden sind, die die Belange der Patientensicherheit und der Patientenselbstbestimmung schützen.

Welche Lösungen schlagen Sie vor?
Professor Nikolaou: Unsere Handreichung haben wir so gestaltet, dass die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler eine einfache Fragenliste bzw. Checkliste durchgeht, mit der man selbst entscheiden und mit seiner Ethikkommission erörtern kann, wann im Rahmen der MBO-Ä geforscht wird und wann im Rahmen des MPDG. Dies wurde in der Arbeit und im entsprechenden Lösungsvorschlag pragmatisch erarbeitet.

Handreichung MDR
Die Handreichung können Sie über diesen Link abrufen:
https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/a-2120-3691




veröffentlicht am Freitag, 22. September 2023