INTERVIEW

„Die besondere Stärke der Radiologie ist die Vernetzung“

Prof. Dr. Konstantin Nikolaou, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Tübingen, hat am 19. Mai 2023 sein Amt als Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft DRG angetreten. Im Interview unternimmt er eine persönliche Standortbestimmung der Radiologie in Deutschland und  stellt die Themenschwerpunkte vor, die er in seiner Amtszeit setzen möchte.

Prof. Konstantin Nikolaou © PrivatHerr Professor Nikolaou, Sie sind schon lange im Vorstand der DRG aktiv. Warum engagieren Sie sich in der Fachgesellschaft?
Für mich ist es kein selbstverständliches Privileg, sondern eine Ehre, im Vorstand der DRG aktiv sein zu dürfen und nun das Amt des Präsidenten übernehmen zu können. Ebenso empfinde ich dies als einen großen Vertrauensbeweis, dem ich gerecht werden will. Auch ist es in meinen Augen eine Verpflichtung, seinen individuellen Beitrag zum Erfolg unserer Fachgesellschaft zu leisten, denn sie ist unsere wichtigste Interessenvertretung, die uns breit unterstützt, vernetzt und uns als gesundheitspolitischen Akteur und Innovationstreiber stark macht. Außerdem finde ich die Vielfalt der Aufgaben, mit denen wir aktuell und künftig zu tun haben, sehr interessant. Allein das und wie wir in den verschiedensten Projekten, Netzwerken und Teams zusammen agieren, macht Spaß. Dazu tragen auch die enge Kooperation mit anderen Fachgesellschaften und Organisationen, mit unserer DGMTR oder den jungen Radiologinnen und Radiologen bei.

Wie bewerten Sie grundsätzlich die aktuelle Situation für die Radiologie in Deutschland? Was ist gut und wo sehen Sie Optimierungsbedarf?
Wir stehen als Fachgesellschaft und als Fach Radiologie in Deutschland sehr gut da. Wir sind gut durch die schwierige Zeit der Pandemie gekommen, auch dank der großartigen Arbeit, die im Vorstand und in der Geschäftsstelle der DRG geleistet wurde. Wir haben eine wachsende Zahl an Mitgliedern und stehen auf einer sehr soliden Basis. Die Radiologie hat eine zentrale Rolle im klinischen Alltag und wird als wissenschaftliches Fach sowie Technologieträger wahrgenommen. Die Risiken, mit denen wir konfrontiert sind, sehe ich unter anderem im Fachkräftemangel, im ärztlichen Bereich, aber vor allem bei unseren MTR. Außerdem müssen wir an unserer klinischen und öffentlichen Sichtbarkeit bei Patientinnen und Patienten, Kolleginnen und Kollegen und Entscheidungsträgerinnen und -trägern arbeiten, indem wir uns sichtbar auf allen Ebenen einbringen. Wir müssen unsere Stärken, die Integration von Diagnostik und Therapie und unsere vielfältigen und zunehmenden Möglichkeiten im Bereich der Interventionellen Radiologie betonen und uns aktiv in gemeinsame interdisziplinäre Behandlungskonzepte einbringen. Darüber hinaus erleben wir sich schnelle ändernde Rahmenbedingungen, wie die fortschreitende Digitalisierung, zunehmende Möglichkeiten der KI, neue Impulse in Weiterbildung und Lehre, aber auch und vor allem neue Rahmenbedingungen in der Gesundheitspolitik. Wir müssen auf diese Veränderungen proaktiv, reflektiert und gut abgestimmt mit unseren Partnern reagieren.

Sie hatten im Vorstand der DRG die Funktion des Wissenschaftskoordinators inne. Zählen Wissenschaft und Forschung zu Ihren Schwerpunktthemen als DRG-Präsident?
Natürlich ist das Thema Wissenschaft für mich und für uns alle hochrelevant. Die Radiologie als wissenschaftliches Fach und die DRG als wissenschaftliche Fachgesellschaft leben davon, dass wir uns forschend weiterentwickeln und bei innovativen und gerade bei Technologie-getriebenen Themen immer vorne mit dabei sind. Dabei ist es im Bereich der datengetriebenen Forschung für die Radiologie sehr wichtig, adäquate qualitätskontrollierte, multizentrisch und multidisziplinär nutzbare Datenplattformen zu etablieren und die nötigen Standards zu setzen, um neue KI-Ansätze und komplexe Diagnostik weiter zu integrieren und die Grundlagen für gemeinsame Forschung an großen Daten zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund muss auch die systematische Zusammenarbeit der Radiologie mit nationalen und internationalen Forschungsstrukturen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder dem European Research Council weitergeführt und ausgebaut werden.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die radiologische Forschung, und welche Handlungsspielräume hat eine medizinische Fachgesellschaft Ihrer Ansicht nach?
Was die Radiologie aufgrund unserer vielfältigen Kooperationen, unseres Digitalisierungsgrades sowie hoher Datenqualität besonders gut kann, ist, sich zu vernetzen. Wir können dabei in der Radiologie – und das ist in meinen Augen eine weitere Stärke unseres Fachs – nicht nur auf klinische Forschung setzen, sondern dabei Grundlagenforschung, technische Entwicklungsarbeit und translationale Forschungsansätze integrieren. Dies erhält eine besondere Qualität, wenn wir transdisziplinär, auch über den medizinischen Tellerrand, denken und zusammenarbeiten, und dabei Ingenieurinnen und Ingenieure, Informatikerinnen und Informatiker wie auch die Industrie in unsere wissenschaftlichen Aktivitäten einbinden. Wir haben als DRG sehr gute wissenschaftliche Ausbildungsprogramme wie das FFZ-Programm und wir bauen starke Forschungsplattformen wie RACOON auf. Herausforderungen für die radiologische Forschung? Ich würde es eher neue Themen nennen. Wichtig ist vor allem die zunehmende Integration von KI-Ansätzen und Diagnostik, als Schlagwort sei hier Integrated Diagnostics genannt, also die relevante und gezielte Kombination komplexer diagnostischer Daten aus verschiedenen Bereichen über die Bildgebung hinaus. Auch die Organisation von größeren klinischen Studien mit relevanten Endpunkten ist ein Bereich, dem wir uns stärker widmen sollten.

Gibt es weitere Themenschwerpunkte, die Sie in Ihrer Präsidentschaft setzen werden?
Ich möchte an dieser Stelle Professor Jörg Barkhausen als meinen direkten Vorgänger, aber natürlich auch meine weiteren Vorgänger im Amt, ausdrücklich loben. Sie haben bereits viele wichtige Themen aufgegriffen und exzellent entwickelt. Diese möchte ich natürlich weiterführen. Neben der Wissenschaftlichkeit des Faches sind das vor allem gesundheitsstrategische Themen, die wir in guter und etablierter Zusammenarbeit mit unseren befreundeten Fachgesellschaften und in direktem Kontakt zu den jeweiligen Entscheidungsträgerinnen und -trägern eng begleiten und bearbeiten. Zu den weiteren Bereichen, in die ich mich verstärkt einbringen will, gehört zum einen die Förderung des MTR-Berufs und unseres MTR-Nachwuchses. Für die Zukunft unseres Faches brauchen wir eine starke Fokussierung auf die Nachwuchsförderung, in enger Kooperation mit der DGMTR, wo ich in den letzten Jahren als kooptiertes Mitglied im DGMTR Vorstand bereits mitarbeiten durfte, was mir viel Spass gemacht hat. Dazu gehören die Gestaltung attraktiver MTR-Fortbildungsprogramme, aber auch systematische und individuelle Zertifizierungsprogramme, um die Attraktivität des Berufs zu steigern und sichtbarer zu machen. Darüber hinaus liegt mir das Thema Internationalisierung sehr am Herzen. Gerne möchte ich helfen, die DRG als international sichtbare Fachgesellschaft zu positionieren und aktiv Kontakte zu verschiedenen internationalen Gesellschaften und Organisationen aufzunehmen, zu entwickeln und zu pflegen. Letztlich werden aber auch übergreifende Themen wie etwa das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger. Sichtbare Aktivitäten, die u.a. das Netzwerk Nachhaltigkeit@DRG bereits angestoßen hat, gilt es weiter auszubauen. Am Ende ist es mir ein persönliches Anliegen, die Einheit unseres Faches zu betonen und die bestehenden engen Kooperationen mit unseren radiologischen Fachgesellschaften wie unseren befreundeten Nachbar-Fachgesellschaften zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Die DRG rückt immer mehr auch gesundheits- und berufspolitische Themen in ihren Fokus. Warum ist es wichtig, sich mit diesen Themen stärker zu befassen?
Das Thema der strategischen Aufstellung unserer Fachgesellschaft auch in gesundheitspolitischen Fragen wurde vom Vorstand in den letzten Jahren gezielt aufgegriffen und weiterentwickelt. Professor Gerald Antoch hat bereits in seiner Präsidentschaft neue Strukturen und Funktionen in diesem Themenfeld geschaffen ist nun auch Sprecher für das Thema Gesundheitsstrategie im DRG-Vorstand. Für uns gibt es dabei viele hochrelevante Themen, etwa aktuell die Bestrebungen zu einer grundlegenden Krankenhausreform oder die geplanten Entwicklungen im Bereich der Ambulantisierung, wo wir in enger Kooperation u.a. mit dem Berufsverband sichtbar und als aktiver Partner im politischen Prozess auftreten müssen, aber auch als Gestalter und Reformer in der Leistungserbringung. Ich denke dabei etwa an die Themen Herz-CT oder Lungenkrebs-Screening. Hier brauchen wir eine aktive Vertretung. Daher war die Entscheidung der DRG richtig, neben dem Sprecheramt Gesundheitsstrategie auch entsprechende Vorstandskommissionen zu etablieren, die diese Themen fachlich behandeln und begleiten. Unabhängig von diesen gezielten Aktivitäten müssen wir generell bestrebt sein, die Rolle der Radiologie in der ärztlichen Selbstverwaltung zu stärken und uns dort aktiv einzubringen.

Die DRG hat ihre Satzung um eine Präambel ergänzt, in der sie sich verpflichtet, alle Dimensionen der Diversität zu berücksichtigen. Wie werden Sie das Thema umsetzen?
Die Frage ist durchaus berechtigt. Jeder wird der Aussage zustimmen, dass Diversität wichtig ist, dass es Vorteile hat, wenn man Alle berücksichtigt, und dass diverse und gemischte Teams am besten funktionieren. Die konkrete Umsetzung und die Ableitung konkreter Maßnahmen aus dieser Erkenntnis erscheint dabei in der Tat manchmal gar nicht so einfach. Dafür hat die DRG das Netzwerk Diversity@DRG gegründet. Für die DRG war in jedem Fall auch der 103. Deutsche Röntgenkongress 2022 unter dem Motto „Vielfalt leben – Zukunft gestalten“ ein wichtiger Meilenstein. Die DRG hat die Charta der Vielfalt unterschrieben, als Selbstbekenntnis zu einem vorurteilsfreien Arbeitsumfeld, das von Wertschätzung, Toleranz und Respekt bestimmt ist. Wir haben in der neuen Präambel unserer Satzung neben den relevanten Zielen auch konkrete Maßnahmen formuliert, wie etwa den größeren Handlungsspielraum bei der Besetzung von Kongresspräsidentschaften. Darüber hinaus binden wir konsequent junge Kolleginnen und Kollegen in der Fachgesellschaft ein. Auch haben wir das Mentorenprogramm Radiologinnen@DRG etabliert, das künftig weiter ausgebaut wird. Durch diese und weitere konkrete Maßnahmen setzen wir Diversität nicht nur als Überschrift, sondern aktiv um und machen sie für alle erlebbar. Das soll fortgeführt und in verschiedenen Bereichen weiter ausgebaut werden.

Wie könnten mehr Radiologinnen und Radiologen mit Migrationshintergrund dazu motiviert werden, sich stärker in der Fachgesellschaft zu engagieren?
Primär geht es darum, Mitarbeitende mit Migrationshintergrund in die Radiologie zu bringen und bei uns zu binden, zu inkludieren, und daraus ein verstärktes Engagement dieser Kolleginnen und Kollegen in der Fachgesellschaft zu entwickeln. Das müssen nicht nur Ärztinnen und Ärzte sein, wie bereits gesagt, sondern zum Beispiel auch MTR. Wenn wir es in unserem jeweiligen Arbeitsumfeld schaffen, Offenheit zu demonstrieren und alle Menschen zu integrieren, entsteht daraus fast zwangsläufig auch ein Engagement für unser Fach und in der Fachgesellschaft. Wir können zusammenfassend durchaus stolz darauf sein, dass wir als DRG eine Vorreiterrolle eingenommen haben in der Sichtbarmachung und Bearbeitung relevanter aktueller fachübergreifender Themen.


veröffentlicht am Mittwoch, 12. Juli 2023