INTERVIEW

Leberkrebs: Künstliche Intelligenz in der klinischen Radiologie soll Diagnostik verbessern

Seit Anfang des Jahres fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt „Erstellung eines qualitätsgesicherten Trainings-, Validierungs- und Testdatensatzes hepatozelluläres Karzinom“ (Q-HCC) an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Das interdisziplinäre Projekt erforscht mit Künstlicher Intelligenz in der klinischen Radiologie, wie Leberkrebs künftig sicherer und früher erkannt werden kann. Die Deutsche Röntgengesellschaft wird hierfür die "Internationale Radiomics-Plattform" zur Verfügung stellen. Wir haben mit federführend am Projekt Beteiligten gesprochen: Professor Andreas Teufel leitet das Projektkonsortium und die Sektionen Hepatologie und Klinische Bioinformatik an der II. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim. PD Dr. Verena Haselmann ist Fachärztin für Laboratoriumsmedizin und leitende Oberärztin des Instituts für Klinische Chemie an der Universitätsmedizin Mannheim. Dort ist auch PD Dr. Matthias Frölich tätig, der die Klinische Kooperationseinheit Digitale Früherkennung und Präventive Diagnostik und eine Forschungsgruppe für computergestützte Bilddatenanalyse an der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin leitet.

Professor Andreas Teufel © Universitätsmedizin MannheimHerr Professor Teufel, wie verbreitet sind Lebertumore in der Bevölkerung?
Professor Teufel: Das Hepatozelluläre Karzinom (HCC) gehört bei uns und weltweit zu einer der häufigsten Ursachen krebsassoziierter Todesfälle und zeigt dabei leider auch eine steigende Inzidenz. Ursächlich für die Erkrankung ist in der großen Mehrzahl der Fälle das Vorliegen einer chronischen Leberschädigung, der Leberzirrhose. Aufgrund dieses klaren Zusammenhanges hat die Früherkennung und genaue Diagnose beim HCC einen besonders hohen Stellenwert. Bei der Diagnosestellung und auch im Monitoring von Therapien ist dabei eine genaue Klassifikation der Erkrankung mittels multimodaler Daten aus Klinik, Labor sowie Bildgebung notwendig.

Ihre Forschung an der Erkrankung Leberkrebs erfolgt aus drei PD Dr. Verena Haselmann © Universitätsmedizin MannheimPerspektiven: aus der der Hepatologie und Bioinformatik, der Klinischen Chemie und Labormedizin sowie der Computergestützten Bilddatenanalyse. Was macht die Kooperation dieser drei Richtungen konstruktiv oder sogar notwendig?
PD Dr. Haselmann: In der Tat ist das Q-HCC Projekt von Anfang an multimodal und interdisziplinär aufgebaut, um der Komplexität der Erkrankung Rechnung zu tragen. Die Notwendigkeit dieses interdisziplinären Vorgehens wird bereits aus einschlägigen Scoring- und Therapieplanungsalgorithmen beim HCC sofort ersichtlich. Diese sind in aller Regel multimodal aufgebaut und basieren auf klinischen, laborchemischen und bildgebenden Ergebnissen. Im Falle des HCC ist häufig neben der primären Erkrankungsausbreitung die Einschränkung der Organfunktion der Leber entscheidend für die Prognose der Patientinnen und Patienten. Im Ergebnis ist also auch für fundierte wissenschaftliche Analysen beim HCC ein interdisziplinärer Datensatz notwendig. Die Erstellung eines solchen Datensatzes ist eines der zentralen Ziele von Q-HCC.

PD Dr. Matthias Frölich © PrivatDie Deutsche Röntgengesellschaft wird Ihre Studie zu HCC unterstützen, indem sie Ihnen dafür die Plattform Radiomics zur Verfügung stellt. Wie genau wird Ihr Team die Plattform nutzen?
PD DR. Frölich: Wir sehen den Mehrwert der Internationalen Radiomics Plattform für Q-HCC auf mehreren Ebenen und freuen uns daher, dass wir die Deutsche Röntgengesellschaft hierfür gewinnen konnten: Neben der reinen Zusammenführung multimodaler Daten beim HCC in einem interdisziplinären Datensatz ist die genaue und reproduzierbare Annotation der Datensätze von zentraler Bedeutung, um weiterführende quantitative Analysen („Radiomics“) durchführen zu können. Wir sind dabei davon überzeugt, mit der "Internationalen Radiomics Plattform" der DRG das optimale Werkzeug zur Erreichung dieses Zieles zu haben. Konkret möchten wir die Radiomics Methodik zur Quantifizierung der HCC-Läsionen selbst sowie des Leberparenchyms verwenden. Neben reinen intensitätsbasierten Quantifizierungen erhoffen wir uns insbesondere von der Organ- und Läsionstextur Anhaltspunkte für eine bessere Einschätzung der Erkrankungsschwere sowie zur interdisziplinären Auswertung im Kontext laborchemischer oder klinischer Marker. Abgesehen von den vielfältigen Möglichkeiten zur Auswertung der Bilddaten sehen wir in der Internationalen Radiomics-Plattform der DRG eine ideale Möglichkeit zur Dissemination der Daten für Dritte.

Für Ihre Studie suchen Sie aktuell noch Partnerinnen und Partner, mit denen Sie kooperieren können. Wer kommt in Frage?
Professor Teufel: Bisher fungieren mehrere Kliniken und Abteilungen der Universitätsmedizin Mannheim als Kern von Q-HCC. Wir sind jedoch sehr interessiert, weitere Partnerinnen und Partner in das Projekt einzubeziehen. Aktuell sind wir mit mehreren Teams in Deutschland, aber auch international, zum Beispiel in Lateinamerika, im Gespräch. Perspektivisch werden die Ergebnisse von Q-HCC entsprechend der Förderbestimmungen einer breiten Allgemeinheit zur Verfügung gestellt.

Wem werden Sie nach Studien-Ende die Daten zur weiteren Nutzung zur Verfügung stellen?
PD Dr. Frölich: Wie bereits von Herrn Professor Teufel angedeutet, möchten wir schon während der Projektlaufzeit weitere Partnerinnen und Partner für das Projekt gewinnen. Zusätzlich ist eine (anonymisierte) Nutzung der Daten durch externe Partnerinnen und Partner geplant. Hier denken wir zum Beispiel an Arbeitsgruppen aus der KI und Bioinformatik zur Validierung oder Erprobung neuartiger Ansätze oder auch an die Anwendung in anderen klinisch-labormedizinisch-bildgebenden Forschungsgruppen.

Wie wird diese Studie die Qualität der Versorgung von Patientinnen und Patienten voranbringen?
PD Dr. Haselmann: Für die erste Erprobung und Übertragung interdisziplinärer und innovativer Ansätze zur Diagnose und Therapieplanung beim HCC stellt das Vorhandensein eines multimodal annotierten und qualitätsgesicherten Datensatzes die am schwierigsten zu überbrückende Lücke dar. Genau hier setzt Q-HCC an: Mit einem interdisziplinären ärztlichen Team sowie mit Expertinnen und Experten mit breiter (bio-)informatischer Expertise möchten wir diese Lücke schließen. Wir denken, dass so die Translation entsprechender Ansätze in die Klinik essenziell unterstützt und die Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten gesteigert werden kann.

Über das Projekt Q-HCC
Das Projekt „Erstellung eines qualitätsgesicherten Trainings-, Validierungs- und Testdatensatzes hepatozelluläres Karzinom“ (Q-HCC) wird an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg durchgeführt. Seit Beginn des Jahres erhält es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Förderung von rund 586.000 Euro für 18 Monate. Die Voraussetzung, um KI-Anwendungen etwa in der Erforschung von Leberkrebs zu entwickeln, sind gut definierte Referenzdaten von Leberkrebs-Patientinnen und -Patienten. Solche Testdatensätze sind bislang aber das entscheidende Nadelöhr für die Weiterentwicklung dieser Technologien. Dies soll sich mit der Förderung des Q-HCC Konsortiums ändern, wofür es der Expertise vieler Bereiche der klinischen Medizin bedarf, vor allem der Gastroenterologie, Radiologie, Chirurgie und Klinischen Chemie, aber auch der Unterstützung von Expertinnen und Experten aus der Informatik und Technik, der Medizininformatik und der KI-Forschung. Mit ersten Ergebnissen rechnen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 2024. Das Konsortium wird die erarbeiteten Daten im Anschluss öffentlich verfügbar machen.
veröffentlicht am Montag, 24. April 2023