INTERVIEW

„Seit der Zeit habe ich gedacht: Radiologe wäre auch ein Beruf für mich“

Univ.-Prof. Dr. Bernd Hamm begann 1978 seine Ausbildung zunächst in der Pathologie und wechselte dann zum Fach Radiologie. Seitdem war er in zahlreichen beruflichen und ehrenamtlichen Positionen tätig, etwa als Präsident der DRG. Professor Hamm hat die Radiologie in Deutschland geprägt und wegweisende wissenschaftliche Projekte angestoßen, zuletzt das Radiological Cooperative Network RACOON. Ende 2022 gibt er seinen Posten als Direktor der Klinik für Radiologie der Charité in Berlin auf und wechselt in den Ruhestand – und in eine Seniorprofessur. Wir blicken mit Professor Hamm zurück auf ein erfülltes Leben als Radiologe und nach vorn in die Zukunft der Radiologie.

Univ.-Prof. Dr. Bernd Hamm © Charité UniversitätsmedizinProfessor Hamm, Sie sind Anfang der 1970er Jahre aus Ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main zum Medizinstudium nach Berlin gezogen. Warum Berlin?  
Professor Hamm: Das ist relativ einfach zu beantworten. Mit 18 Jahren will man ja aufbrechen. Für mich war klar, dass ich in eine Großstadt wollte und Berlin war für mich immer attraktiv, auch, weil man sich in der Schule viel mit der Geschichte Berlins befasst hatte. Tatsächlich bin ich direkt nach dem Abitur nach Berlin aufgebrochen und am Ende hier „hängengeblieben“.

Hat Sie auch die damalige politische Umtriebigkeit in Berlin interessiert?
Ich war tatsächlich politisch engagiert, allerdings nicht auf der großen politischen Bühne, sondern als Studentenvertreter. Ansonsten war Berlin ein spannendes Pflaster. Ich wurde immer gefragt: Ist es nicht ein komisches Gefühl, eingemauert zu sein? Mich hat es überhaupt nicht irritiert, dass um die Stadt eine Mauer stand. Das Entscheidende war, was sich in der Stadt abgespielt hat und das war für ein Studentenleben eine feine Sache. Als Student sucht man ja nicht die Ruhe eines Waldspaziergangs.

Sie haben sich nach Ihrem Medizinstudium 1978 für die Fachrichtung Radiologie entschieden. Warum haben Sie sich für dieses Fach entschieden?
Auch das ist einfach zu beantworten und Gott sei Dank hat es dann auch so geklappt. Schon mit 12, 13 Jahren wollte ich Radiologe werden. Das hat damit zu tun, dass ich nach der Schule oft zu meinem Vater gegangen bin, der eine radiologische Praxis im Krankenhaus betrieben hat. Dabei habe ich gesehen, was er macht. Vor allen Dingen spürte ich, dass ihn seine Arbeit erfüllte und er viel Empathie für das Fach hatte. Seit der Zeit habe ich gedacht: Radiologe wäre auch ein Beruf für mich.

Dieses Interview ist zuerst im Jahresbericht 2021 der Deutschen Röntgengesellschaft erschienen. Diesen finden Sie im Mitgliederbereich der DRG. Dort finden Sie auch eine Galerie mit Bildern unter anderem aus verschiedenen beruflichen Kontexten von Univ.-Prof. Dr. Bernd Hamm.

Sie waren über 40 Jahre als Radiologe in verschiedenen Positionen und beruflichen Kontexten tätig. Daneben haben Sie auch ehrenamtlich gearbeitet – Sie waren etwa Präsident der DRG, der ESR, zweiter Vorsitzender des BDR. Welche Bedeutungen haben diese Ehrenämter für Sie persönlich?
Diese Tätigkeiten sind bereichernd und machen mehrheitlich Spaß. Man macht das, um seinen Beitrag für die Weiterentwicklung des Faches Radiologie zu leisten. Bei der Fachgesellschaft ist man stärker inhaltlich und wissenschaftlich tätig, auf der europäischen Bühne und im BDR stärker international beziehungsweise  berufspolitisch. Wenn wir solche Tätigkeiten nicht wahrnehmen, wäre das für unsere Fachgruppe ungünstig.

Sollten sich Radiologinnen und Radiologen gerade berufspolitisch engagieren?
Absolut! Die Radiologie steht teils politisch und in der allgemeinen Wahrnehmung nicht angemessen da. Dabei entwickelt sich unser Fach in der Diagnostik, Therapiekontrolle und der bildgeführten minimalinvasiven Therapie rasant weiter und fungiert wie ein zentrales Drehkreuz der Medizin. Natürlich gibt es immer einen Wettbewerb zwischen den Disziplinen - nicht primär wissenschaftlich, sondern berufspolitisch. Wir müssen unser Fach weiterhin stärken und sichtbar machen, damit es attraktiv für den Nachwuchs bleibt.

Heutzutage legen viele Menschen großen Wert auf eine austarierte Work-Life-Balance. Wie haben Sie Ihren Beruf und Ihr Privatleben miteinander vereinbart?
Ich bin eine andere Generation. Das Thema wurde damals nicht so stark diskutiert wie heute. Am Ende war es bei mir mehr Work und dann kam die Balance hinzu. Es gab dafür aber eine Akzeptanz in meiner Familie, sodass es funktioniert hat. Heute würde ich das sicherlich etwas anders sehen und handhaben.

Ihnen sind zahlreiche Ehrenmitgliedschaften verliehen worden, 2019 etwa die Ehrenmitgliedschaft in der RSNA, auch für die Etablierung von Forschungskooperationen in Deutschland und global. Was sind das für Kooperationen?
Wir arbeiten aktuell an einem Projekt mit anderen Standorten zum Thema Multiparametrische MRT der Prostata. Auch haben wir ein Horizon 2020-Projekt, das sich mit KI in der Onkologie befasst und zwei sehr große Multicenter-Studien zur kardialen Bildgebung. Ich muss einschränkend hinzufügen: Bei vielen Projekten bin ich nicht der PI. Es sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus meinem Team, die solche Projekte initiieren und erfolgreich umsetzen. Meine Funktion ist es, dies zu ermöglichen und zu unterstützen.

Wie sahen Ihre Aktivitäten in der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG aus?
Ich war insgesamt acht Jahre (zum Teil mit zwei weiteren Kollegen der Radiologie) als Fachkollegiat in der DFG tätig. Dort haben wir uns fachlich bei der Begutachtung von Anträgen und der Entscheidung über ihre Förderung eingebracht. Das war keine Berufspolitik, sondern eine rein wissenschaftliche Tätigkeit. Für unser Fach ist es essenziell, bei der DFG vertreten zu sein, damit auch die Stimme der Radiologie gehört wird. Momentan haben wir dort keine Vertretung, was sich bei der nächsten Wahl aber hoffentlich wieder ändert.

In Ihren eigenen Forschungsprojekten waren Sie oft interdisziplinär und interkulturell ausgerichtet. Wie wichtig sind Ihnen diese Werte?
Es bereichert die wissenschaftliche Tätigkeit ungemein, wenn man interdisziplinär arbeitet. Man bekommt einfach andere Sichtweisen auf ein Thema mit. Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang unser Sonderforschungsbereich „Matrix in Vision“, in dem wir hochinterdisziplinär, gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Grundlagenforschung, Chemie, Physik und natürlich der diagnostischen Radiologie, arbeiten. Zusammen kann man Dinge bewegen, die man in einem Fach allein nicht erreicht. Andere Sichtweisen lernt man auch durch das Arbeiten in verschiedenen kulturellen Kontexten kennen. Es ist klar, dass die Wissenschaft davon profitiert, Herausforderungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.

Auf welche Ihrer Forschungsarbeiten sind Sie besonders stolz?
Ein echter Knaller war die Entwicklung des medikamenten-beschichteten Ballonkatheters, den ich nicht entwickelt habe, der aber in unserer Forschungsabteilung entstanden ist. Er wird inzwischen weltweit eingesetzt. Gern nenne ich auch die erfolgreiche Beantragung des genannten Sonderforschungsbereiches „Matrix in Vision“, in dem es um die nicht-invasive Bildgebung der extrazellulären Matrix geht. Die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen Grundlagenwissenschaften, bildgebender und klinischer Forschung ist überaus stimulierend und gleichzeitig Motor für neue Ideen.  

(v.l.n.r.): Dr. Andreas Bucher, Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Frankfurt, PD Dr. Tobias Penzkofer, Klinik für Radiologie an der Charité Berlin, Univ.-Prof. Dr. Thomas J. Vogl, Leiter des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Frankfurt, Univ.-Prof. Dr. Bernd Hamm, Direktor der Klinik für Radiologie an der Charité Berlin. Ganz rechts: DRG-Präsident Prof. Jörg Barkhausen, Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin, Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.2021 erhielt das Koordinatorenteam des Netzwerkes RACOON die Hermann-Rieder-Medaille der DRG (v.l.n.r.): Dr. Andreas Bucher, Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Frankfurt, PD Dr. Tobias Penzkofer, Klinik für Radiologie an der Charité Berlin, Univ.-Prof. Dr. Thomas J. Vogl, Leiter des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Frankfurt, Univ.-Prof. Dr. Bernd Hamm, Direktor der Klinik für Radiologie an der Charité Berlin. Ganz rechts: DRG-Präsident Prof. Jörg Barkhausen, Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin, Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.© DRGKommen wir zum Radiological Cooperative Network RACOON, das Sie mitinitiiert haben und mitkoordinieren. Welche Potenziale sehen Sie in dem Projekt?
RACOON ist insofern sensationell, als es uns gemeinsam mit Professor Vogl vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main gelungen ist, ausnahmslos alle unsere Universitätsradiologien in das Projekt aufzunehmen. Alle arbeiten mit! Das erhöht in erheblicher Weise die Sichtbarkeit unseres Faches, auch auf politischer Ebene. Wir machen gute Fortschritte in RACOON bei der Analyse der Pandemie und vielleicht auch der Pandemic Preparedness für die Zukunft. Mit der Infrastruktur von RACOON haben wir die einmalige Möglichkeit, uns demnächst auch bei anderen Fragestellungen zusammenzuschalten, zum Beispiel bei Themen der Onkologie oder der Analyse seltener Erkrankungen. Auch bei uns in der Charité gibt es Erkrankungen, die nur drei- oder viermal im Jahr vorkommen. Wenn dazu Informationen auch aus allen anderen Universitätsradiologien kämen, hätten wir auf einen Schlag viele gute Daten. Das alles können wir nun mit der von RACOON geschaffenen Infrastruktur umsetzen.

Was waren zurückblickend die wichtigsten Entwicklungen in der Radiologie und welche Themen werden in Zukunft bestimmend sein?
Schwierige Frage. Ich will jetzt nicht darauf eingehen, was es im MRT für sensationelle Entwicklungen gab. Als ich angefangen habe, gab es noch kein MRT. Da war die Durchleuchtungsuntersuchung eine der Hauptuntersuchungen. Dann wurde das CT fast totgesagt und jetzt hat es ein sensationelles Revival. Man kann im Rückblick sagen – das wird auch in der Zukunft so sein – dass die Radiologie eines der innovativsten Fächer in der Medizin ist. Das hängt natürlich damit zusammen, dass neue technische Entwicklungen schnell in die klinische Praxis übertragen werden. Ein ganz wichtiger Punkt für die Zukunft sollte die Weiterentwicklung und der Ausbau der Interventions-radiologie sein, da wir mit ihr als Therapie, neben der Diagnostik, ein wichtiges Standbein haben. Unser Fach besticht durch seine phänomenale thematische Vielfalt und KI wird dabei künftig eine große Rolle spielen. Ich sehe die KI nicht als Gefahr, sondern als Unterstützung unserer Tätigkeit. Vielleicht hilft sie uns auch, mehr Zeit für direkte Patientenkontakte und -behandlungen zu gewinnen.

Welche Ratschläge würden Sie dem radiologischen Nachwuchs geben?
Da kann ich nur sagen – die Breite des Faches ist faszinierend! Dadurch findet man immer das, was einen interessiert. Was die Wissenschaft betrifft, ist ganz wichtig: Man braucht viel Interesse an neuen Dingen. Und sich bitte nicht zurückwerfen lassen durch anfängliche Misserfolge. Man braucht eine gewisse Marathonmentalität, dann kommt der Rest fast von alleine.

Was waren mit Rückblick auf Ihre lange Karriere besonders bemerkenswerte Ereignisse im Positiven oder im Negativen?
Ich würde beides zusammenfassen. Es war mein erster Tag in der berühmten Charité. Das war auf der einen Seite positiv, auf der anderen Seite habe ich mir gedacht: Mein lieber Mann, da hast du dir ganz schön was vorgenommen! Es war sehr herausfordernd und eine gute Entscheidung zugleich.  

Nach viermaliger Verlängerung gehen Sie Ende 2022 in den Ruhestand, werden aber weiter als Seniorprofessor arbeiten. Dennoch: Wie wird der erste Tag Ihres Ruhestandes sein?
Um ehrlich zu sein, mache ich mir darüber nicht viele Gedanken. Und über Pläne rede ich erst, wenn sie umgesetzt sind, ansonsten ist das nur ein Blick in die Glaskugel. Ich denke: Wenn eine Tür zugeht, öffnen sich manchmal andere Türen, auch, wenn sie kleiner sind.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Bernd Hamm ist seit 1994 Direktor des Instituts für Radiologie der Charité und seit 2006 (Campus Virchow-Klinikum) sowie 2010 (Campus Benjamin Franklin) Direktor der fusionierten Kliniken für Radiologie sowie seit 2006 Ärztlicher Leiter des CharitéCentrum 6 (Diagnostische und Interventionelle Radiologie/Neuroradiologie/Kinderradiologie/Nuklearmedizin und Medizinische Physik). Zu Professor Hamms Forschungsschwerpunkten zählen MRT und CT des weiblichen Beckens, die MR-Diagnostik des Prostatakarzinoms sowie die Molekulare Bildgebung, unter anderem mit Eisenoxidnanopartikeln.
Geboren wurde Bernd Hamm am 30. August 1953 in Frankfurt am Main. Sein Studium der Humanmedizin absolvierte er von 1972 bis 1978 an der Freien Universität Berlin, seit 1986 ist er Facharzt für Radiologie. Danach folgten zahlreiche berufliche Stationen, etwa von 1990 bis 1993 als Leitender Oberarzt der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin im Klinikum Steglitz der FU Berlin. 1993 erhielt er die C3-Professur für Klinische Radiologie an der FU Berlin. Im Verlauf seiner beruflichen Tätigkeit übte Professor Hamm verschiedene Funktionen in wissenschaftlichen Gesellschaften und Gremien aus: unter anderem Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft (2003 – 2005), Präsident der European Society of Urogenital Radiology (2008 – 2010), Präsident des Deutsch-Österreichischen Röntgenkongresses 2011 (gemeinsam mit Prof. Hruby), Präsident des European Congress of Radiologiy (ECR) 2015 und 2018 sowie Präsident der European Society of Radiology (ESR) 2017 – 2018 sowie Chairman of the Board (2018 – 2019). Von 2008 bis 2014 war er Sprecher der DFG-Klinischen Forschergruppe „Magnetische Eisenoxidnanopartikel für die Zelluläre und Molekulare MR-Bildgebung“ und seit 2018 Sprecher des Sonderforschungsbereichs 1340 „Matrix in Vision“. Außerdem wurden Professor Hamm zahlreiche Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften verliehen, so ist er seit 2007 Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und Ehrenmitglied unter anderem der Österreichischen Röntgengesellschaft, Schweizer Röntgengesellschaft, Japan Radiological Society, Korean Society of Radiology, Chinese Medical Association, Deutschen Röntgengesellschaft und seit 2019 der Radiological Society of North America.

veröffentlicht am Freitag, 22. Juli 2022