Deutsche Röntgengesellschaft e.V.
Florian Schneider
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Prof. Dr. Michael Forsting Thesen von Prof. Dr. Michael Forsting, Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft e.V. 2011-2013
Der Kollege Mathias Langer hat als Präsident dem 94. Deutschen Röntgenkongress das Motto Radiologie ist Zukunft vorangestellt. Ich finde dieses Motto absolut treffend. Die Radiologie ist ein Motor der Innovation im Medizinbetrieb, vielleicht ist sie sogar das innovativste Fach der gesamten Heilkunde. Wer permanent Innovationen voranbringt und einsetzt, muss selbst beweglich bleiben. Dieses Papier skizziert, wohin die Reise gehen könnte.
Die Zukunft wird hybrid
Die Hybrid-Technologien erreicht die klinische Versorgung. PET-CT hat gezeigt, dass die parallele Darstellung von Stoffwechselfunktion und Anatomie besonders bei onkologischen Erkrankungen sinnvoll ist. PET-MR ist der nächste Schritt und in ein paar Jahren werden wir wissen, was der zusätzliche Nutzen dieses Verfahrens ist. Schon jetzt kristallisiert sich heraus, dass neben den onkologischen Erkrankungen auch die Herzbildgebung von der parallelen Darstellung von Energieverbrauch des Muskels, Anatomie und Durchblutung profitiert.
Was die Weiterbildungsordnung im Betrieb der Hybrid-Geräte anbelangt, haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Die gekreuzten Fachkunden Nukmed – Radiologie ermöglicht es uns Radiologen, autark die Hybridtechnologie nutzen zu können. Auch in den gerade stattfindenden Novellierungsprozess der Weiterbildungsordnung haben wir den Vorschlag einer Zusatzweiterbildung ‚Nuklearmedizinische Diagnostik für Radiologen‘ eingebracht.
Allerdings stehen wir vor politischen Hürden. Der Erstattungsrahmen der diagnostischen Leistungen seitens der Krankenkassen ist äußerst eng. Wir müssen uns daher noch viel stärker als bislang um die systematische, klinische Forschung der Hybrid-Technologien bemühen und den konkreten Patientennutzen dieser Bildgebung belegen.
Die Interventionalisten unter uns haben es vorgemacht. Aus einem Flickenteppich unterschiedlichster Techniken und Patientenanwendungen sind mit den Jahren qualitätsgesteuerte Verfahrensabläufe geworden, die ihren Platz in den Leitlinien erobert haben.
Die Radiologie ersetzt die invasive Diagnostik
Wir alle wissen: die Auflösung im MR nimmt mit der Feldstärke zu. Erste Erfahrungen mit 7 Tesla zeigen nun, dass wir gleichsam die Schallmauer durchbrechen und in zelluläre Bereiche vordringen. Für uns Radiologen heißt das, dass wir – wieder einmal – Bildgebung neu buchstabieren müssen. Für die Patienten wird es bedeuten, weit weniger häufig als heute strapaziösen und riskanten Biopsien ausgesetzt zu sein.
Der technologische Fortschritt hat in den letzten Jahren auch dazu geführt, dass die Strahlenbelastung moderner CT-Geräte um fast den Faktor 10 reduziert werden konnte. Damit kann die Darstellung der Herzkranzgefäße ausschließlich mit der CT vorgenommen werden. Wir Radiologen haben die Chance, die unselige Inflation invasiver Koronar-Diagnostik, für die wir in allen OECD-Ländern nur Kopfschütteln ernten, endlich zu stoppen. Die Patienten werden es uns danken.
Befundung I – Ausweg aus der Bilderflut
Wurden noch vor wenigen Jahren pro untersuchte Körperregion 20 – 100 Schnittbilder erstellt, sind es heute meistens zwischen 200 und 1.000 Bilder. Diese Bilderflut erhöht zwar die diagnostische Genauigkeit, aber die Anforderungen an den Befunder sind dramatisch angestiegen: 10 x mehr Bilder pro Patient! Dieser Aufwand wird in Zukunft nicht mehr zu leisten sein. Der Ausweg kann und muss sein, dass der Radiologe dreidimensionale Rekonstruktionen befundet. In einer Zeit, in der selbst Piloten komplett in einer simulierten dreidimensionalen Umgebung trainiert werden, sollte es möglich sein, auch perfekte dreidimensionale Rekonstruktionen dieser Schnittbilder zu erstellen, die eine zuverlässige Diagnose erlauben. Und noch eines: 3 D bedeutet keinesfalls das Ende des Radiologen, wie jüngst im Deutschen Ärzteblatt behauptet; mit 3 D beginnt vielmehr ein neues Zeitalter der Röntgenanatomie, die genauso gelesen und verstanden werden will, wie die Röntgenanatomie der vorangegangenen Generationen. Und das braucht explizit fachärztliches Wissen und Können.
Befundung II: CAD neu denken
Viele der täglich angefertigten Röntgenbilder sind ohne krankhaften Befund. In einer Zeit, in der Software relativ zuverlässig Gesichter erkennen kann, sollte es möglich sein, intakte Knochenstrukturen zu erkennen. Gesichter sind viel komplexer als Knochen. Denken Sie nur daran, wie schwer wir uns als Europäer tun, asiatische Gesichter zuverlässig (wieder) zu erkennen – und die Asiaten mit europäischen Gesichtern – dann wird klar, wie gut eine Software Einzelheiten erkennen kann. Schon unsere Smartphones sortieren Fotoalben nach elektronischer Gesichtserkennung!
Wir müssen die CAD-Systeme neu denken: Ziel ist nicht, Pathologien zu filtern und einzuordnen (das wird auch absehbar eine „menschliche“ Leistung bleiben), sondern dem Radiologen den Normalbefund abzunehmen.
Befundung III: Weg von der Prosa!
Auch die Art, wie ein radiologisches Bild befundet wird, muss sich ändern. Bislang wird fast immer noch ein Prosa-Text verfasst: Man beschreibt ein Bild, je nach Temperament ausführlicher oder kürzer und zieht am Ende eine diagnostische Schlussfolgerung. Alles mit eigenen Worten. Strukturiertes Befunden heißt, dass man jede Pathologie in einer vorgefertigten Matrix ankreuzt. Der Vorteil ist neben der schnellen Lesbarkeit, dass diese Befunde anschlussfähig mit Datenbanken sind. Diese prüfen, worum es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei dieser Läsion handelt und machen dem Radiologen diagnostische Vorschläge. Wenn die Software schlau ist, dann kann sie dem Radiologen sogar andere Bildbeispiele von ähnlichen Tumoren mit gesicherter Diagnose machen. Dieses „Data-mining“ ist nichts wirklich Neues. Außerhalb der Radiologie und speziell außerhalb der Medizin funktioniert das schon extrem gut. Wenn Sie ein Buch bei Amazon bestellen, dann macht Ihnen die Software sofort Vorschläge zu ähnlichen Büchern oder sagt, dass die letzten 1.000 Menschen, die dieses Buch bestellt haben, sich auch für die folgenden 5 Bücher interessiert haben.
Eine Arbeitsgruppe der DRG unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Hackländer aus Wuppertal hat sich dieses Themas angenommen – auch der Normenausschuss Radiologie beschäftigt sich intensiv mit diesen neuen Wegen der Befundkommunikation. Auch in der amerikanischen und in der europäischen Gesellschaft für Radiologie kümmern sich Arbeitsgruppen um die strukturierte Befundung, ein weiterer Indikator dafür, dass wir uns auf diesem Weg weiterentwickeln werden.
Qualität: Von der Labormedizin lernen
Die digitale Radiologie lässt sich auch durch Qualitätssicherung weiter verbessern, im Laborbereich schon lange Standard. Bislang achten wir im Wesentlichen darauf, dass unsere Geräte und Befundungsplätze technisch in einem einwandfreien Zustand sind. Das ist extrem gut organisiert und wird auch überwacht. Wir müssen aber dahin kommen, dass unsere Befundqualität überprüft wird, beispielsweise indem x Mal am Tag ein und das gleiche Bild von mehreren Radiologen, vielleicht auch an unterschiedlichen Standorten gesehen wird und hinterher abgeglichen werden kann, wie oft die Diagnose richtig war. In einem großen Institut oder einer großen Praxis könnte man aus den Ergebnissen dann sehr leicht ableiten, auf welchen Gebieten man gut ist und auf welchen Gebieten die Fortbildung intensiviert werden muss.
Von der Subspezialisierung eines Generalistenfachs
Die fast komplette Digitalisierung der Radiologie, die Verbesserungen in der Auswertung der Bilder, ja die gesamte Innovationskraft unseres Fachs, wird zu einer weiteren Subspezialisierung der Radiologie führen. Klinische Zuweiser werden Wert darauf legen, dass ein muskuloskeletaler Radiologe die Gelenke ansieht, ein Abdominalradiologe die Leber usw.
Das hat Konsequenzen. Die klassische „Ein-Mann-Praxis“ gibt es in Deutschland ohnehin kaum noch, kleine radiologische Abteilungen in den Krankenhäusern werden auch seltener. Dieser Konzentrationsprozess wird zunehmen.
Chance Teleradiologie
Welche Fachdisziplin kann ihre Kernleistung über Distanzen von Ländern und Kontinenten hinweg erbringen? Die Teleradiologie ist eine der großen Chancen unseres Faches. Sie ist eine Antwort auf Anforderungen an die (Sub-)Spezialisierung, sie ist eine Antwort auf den Nachwuchsmangel, sie ist eine Antwort auf Versorgungsprobleme.
Die Frage ist nicht, ob die deutsche Radiologie abgeschafft wird, weil Kollegen in Indien die Arbeit billiger machen, im Gegenteil: In vielen Ländern ist die radiologische Ausbildung viel schlechter als in Deutschland und ich kann mir gut vorstellen, dass Krankenhäuser in anderen Ländern durch deutsche Radiologen mitversorgt werden können. Selbst in Deutschland wird es bald Gegenden geben, die nicht nur allgemeinmedizinisch unterversorgt sind, sondern auch radiologisch nicht mehr perfekt versorgt werden können.
Die technologischen Probleme sind längst gelöst und die Telenetzwerke an Rhein/Neckar, im Ruhrgebiet oder in Mecklenburg-Vorpommern zeigen, wie es geht.
Ganz zum Schluss…
Vielen Radiologen machen diese Visionen vielleicht Angst, Sorge, dass der Radiologe überflüssig wird. Diese Sorge ist unberechtigt. Kein anderes Fach hat sich so oft neu erfunden wie die Bildgebende Medizin. Besinnen wir uns immer wieder auf diese Innovationskraft – Radiologie ist Zukunft!