INTERVIEW

„Nicht darüber reden, warum etwas nicht geht, sondern wie es geht“

Der Klimawandel gilt als größte Bedrohung der Zukunft, seine Auswirkungen sind global und machen vor niemandem Halt. Seine Ursachen sind vielfältig. Auch das Gesundheitswesen und die Radiologie tragen mit ihrem hohen Energie- und Ressourcenverbrauch dazu bei. Wie kann man das ändern? Ein Gespräch mit Dr. Kerstin Westphalen, Präsidentin des Deutschen Röntgenkongresses 2022, Vorstandsmitglied der Deutschen Röntgengesellschaft und Sprecherin der Kommission „Nachhaltigkeit@DRG“. Dr. Westphalen ist Chefärztin am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie an den DRK-Kliniken in Berlin-Köpenick.

Dr. Kerstin Westphalen © DRK Kliniken BerlinFrau Dr. Westphalen, ist der Klimawandel für den Menschen gesundheitsschädlich?
Dr. Westphalen: Ein klares Ja! Die Folgen des Klimawandels für den Menschen und seine Gesundheit sind sehr weitreichend und umfangreich. Ich greife nur ein paar Beispiele heraus: In den letzten Jahren gibt es eine rasante Zunahme an Allergien – sowohl bei Erwachsenen als auch unter Kindern, außerdem steigt die Zahl der Infektions- und Atemwegserkrankungen, deren Ursachen unter anderem in der zunehmenden Luftverschmutzung liegen. Diese Entwicklungen müssen wir ernst nehmen und auf unserem Gebiet einen Beitrag leisten, dass der Klimawandel nicht weiter fortschreitet. Ja, auch uns Radiologinnen und Radiologen sehe ich da in der Verantwortung. Ich bin aber sicher, dass wir diese Herausforderungen angehen werden. Die Radiologie war schon immer ein innovatives, zukunftsgerichtetes Fachgebiet, das sich neuen Aufgaben und Problemen gestellt hat.

Ist das Thema Klimaschutz Ihrer Ansicht nach bereits im klinischen Alltag angekommen?
Es gibt bereits einige Kliniken, die sich das Ziel „Nullemissionen“ gesetzt haben und mit wenigen Veränderungen schon viel erreicht haben. Auch im ambulanten Bereich finden sich Kolleginnen und Kollegen mit nachhaltigen Praxiskonzepten. Leider sind solche Beispiele aber noch Einzelfälle.

Wenn wir das Thema Umwelt auf den Bereich Nachhaltigkeit ausweiten – was sind für Sie die wichtigsten Säulen der Nachhaltigkeit in der Radiologie?
Nachhaltigkeit kann in die drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales unterteilt werden: In der ökologischen Dimension, welche uns allen wohl am ehesten präsent ist, geht es um einen verantwortungs- und rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt – Stichwort „Ressourcenschonung“. Die ökonomische Dimension zielt vor allem darauf ab, dass wirtschaftliches Handeln nicht nur kurzfristig angelegt sein soll, sondern Kontinuität und Stabilität aufweisen muss. Als dritte Dimension spricht man von „Sozialer Nachhaltigkeit“. Diese kann man für die Radiologie in Themen wie Ausbildungsmodelle, Wissenstransfer zwischen den Alters- und Berufsgruppen, Kommunikation mit Patientinnen und Patienten (zum Beispiel patientenlesbare Befunde) sowie mit radiologischen und nicht-radiologischen Kolleginnen und Kollegen sowie Angehörigen nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe übersetzen. Und natürlich können wir den Punkt der klinischen Effektivität unseres Faches nicht außer Acht lassen. Die drei Aspekte haben keine Rangfolge! Von einer nachhaltigen Radiologie kann nur dann gesprochen werden, wenn alle drei Dimensionen gleichermaßen wichtig genommen werden und nicht eine gegen die andere ausgespielt wird.

Worauf müssen beispielsweise Kliniken achten, die nachhaltiger agieren wollen?
Oh, das ist eine unendliche Liste. Das wichtigste ist, überhaupt einmal anzufangen, auch wenn es am Anfang nur kleine Schritte sind. Mit Blick auf das Thema Klimaschutz sind natürlich Maßnahmen zur Einsparung von Energie und damit CO2 von besonderer Bedeutung. Aber auch die Vermeidung von Abfall – vor allem aus Plastik – ist wichtig. Oder: Warum sollten wir für Kontrastmittel nicht ein Pfandflaschensystem nutzen? Letztlich können diese Ansätze nur erfolgreich sein, wenn wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen – durch Schulungen und eine wertschätzende Arbeitsatmosphäre.

Sie sprachen von „sozialer Nachhaltigkeit“. Was heißt das für Patientinnen und Patienten zum Beispiel in der Radiologie?
Auch da gibt es natürlich viele Konzepte. Wir sollten vor allem „sichtbarer“ für unsere Patientinnen und Patienten werden und zum Beispiel die durch digitale Aufklärungsvideos und -bögen gewonnene Zeit für das Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten nutzen. Oder die schon erwähnten „patientenlesbaren Befunde“ können zu einem besseren Verständnis und damit zu einer höheren Bindung beitragen.

Gibt es innerhalb des Gesundheitswesens noch andere Akteurinnen und Akteure, die die Radiologie „ins Boot holen“ müsste, um nachhaltiger zu werden?

Natürlich können wir all die Dinge nicht alleine verändern. Wir brauchen eine Allianz mit der Politik, der Industrie, den Praxis- und Klinikleitungen sowie mit Medizinphysikexpertinnen und -experten, MTRA und weiteren Kolleginnen und Kollegen. Dabei muss die Politik die Rahmenbedingungen im Sinne einer nachhaltigen Medizin/Gesundheit definieren. Die Industrie muss uns helfen Ressourcen, wie zum Beispiel Energie, Verpackungen und andere Rohstoffe, zu schonen. Ich sage ganz bewusst „muss“, da wir ansonsten bald umwelttechnisch mit dem Rücken an der Wand stehen werden.

Wie tauschen Sie sich über das Thema Nachhaltigkeit mit Industrieunternehmen aus?
Wir wissen alle, dass die Radiologie ein sehr energieintensives Fach ist. Ein CT zum Beispiel verbraucht jährlich etwa 26.000 kWh, ein MRT 134.000 kWh. Zum Vergleich: Ein 4-Personen-Haushalt benötigt im Schnitt ca. 3.000 kWh im Jahr in Deutschland. Bei der Entwicklung neuer Geräte müssen wir deshalb einen sparsameren Energie-Einsatz im Blick haben. Wie das gelingen kann, können wir nur im intensiven Austausch mit den Herstellern radiologischer Großgeräte entwickeln. Dabei setzen wir natürlich auf die Innovationskraft der Industrie. Es geht bei diesem Austausch aber auch darum, den Herstellern von Medizintechnik neben unseren Anforderungen an Energieeffizienz auch über die Upgrade- beziehungsweise Recycling-Fähigkeit von Geräten nachzudenken und so gemeinsam nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Das wäre ein wichtiger Beitrag, damit wir als Radiologinnen und Radiologen unsere Abteilungen oder Praxen nachhaltiger führen können.  

Sie sind Mitglied im Vorstand der Deutschen Röntgengesellschaft – wie setzt sich die Deutsche Röntgengesellschaft für Nachhaltigkeit ein?
Die DRG hat in der Vergangenheit schon einiges für die Nachhaltigkeit getan, indem sie beispielsweise die Digitalisierung aller Mitgliederangelegenheiten vorangetrieben hat, einen nachhaltigen Wissenstransfer über die Akademie, den digitalen Röntgenkongress und die digitale Lernplattform conrad sicherstellt und durch feste Gremienbeteiligung des Forums Junge Radiologie an die nächste Generation denkt. Zukünftig gehen wir innerhalb der DRG mit dem Thema Nachhaltigkeit noch bewusster um: So haben wir eine Kommission „Nachhaltigkeit@DRG“ gegründet, mit der wir in Kürze an die Öffentlichkeit treten werden. Aus dieser Gruppe von engagierten Kolleginnen und Kollegen wurde ein „Zehn-Punkte Plan für mehr Nachhaltigkeit@DRG“ erarbeitet, der bereits vom Vorstand verabschiedet wurde. Hier sind unter anderem CO2-Ausgleichzahlungen für Dienstreisen (mit Auto oder Flugzeug) als Ziel festgelegt worden. Auch sollen die in der Covid-19-Pandemie erfolgreich erprobten digitalen Gremiensitzungen weiter genutzt werden. Wir wollen mit der Kommission für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren, Informationen bereitstellen und Kolleginnen und Kollegen begeistern mitzumachen. Zudem denken wir darüber nach, ein DRG-Gütesiegel für „Nachhaltige Radiologie“ zu entwickeln, um diejenigen auszuzeichnen, die bestimmte nachhaltige Ziele beziehungsweise Kriterien erreicht haben.

Sie stehen dem aktuell laufenden 103. Deutsche Röntgenkongress, den die Deutsche Röntgengesellschaft ausrichtet, als Kongresspräsidentin vor. Der Kongress steht unter dem Motto „Vielfalt leben – Zukunft gestalten“ und befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Diversity und Nachhaltigkeit befassen. Wie wird sich das Thema Nachhaltigkeit im Kongress widerspiegeln?
Wir haben spannende Highlight-Sessions zu allen Aspekten von Nachhaltigkeit im Programm. Auch die Arbeitsgemeinschaften der DRG, die inhaltlich viel zum Kongress beitragen, tragen den Nachhaltigkeitsgedanken mit ins Fortbildungsprogramm. Das Thema Nachhaltigkeit ist übrigens eng mit der Förderung von Diversity verknüpft: Langfristig werden sowohl die DRG als Fachgesellschaft als auch die Radiologie insgesamt nur dann erfolgreich und nachhaltig wirken können, wenn wir ganz bewusst Talente für unser Fach begeistern, die aus bislang noch unterrepräsentierten Gruppen kommen.

Dieses Interview wurde am 12. April 2022 aktualisiert. Geführt wurde es ursprünglich aus Anlass des Internationalen Tages der Umwelt am 5. Juni 2021.

Hier geht es zur Pressemitteilung der Deutschen Röntgengesellschaft zum "Internationalen Tag der Umwelt" 2021.