INTERVIEW

„Die CT des Herzens nützt Frauen und Männern - aber auf unterschiedliche Weise“

Die Genderanalyse der DISCHARGE-Studie ist unter dem Titel „Vergleichende Wirksamkeit der initialen CT und der invasiven Koronarangiographie bei Frauen und Männern mit stabilen Brustschmerzen und Verdacht auf koronare Herzkrankheit: multizentrische randomisierte Studie“ kürzlich im British Medical Journal erschienen. Wir haben mit Dr. Maria Bosserdt, eine der Erstautorinnen, über die Publikation gesprochen. Dr. Bosserdt ist Projektmanagerin im Koordinierungteam der DISCHARGE-Studie unter der Leitung von Prof. Marc Dewey an der Klinik für Radiologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Frau Dr. Bosserdt, die koronare Herzkrankheit (KHK) gehört zu den häufigsten Herzerkrankungen. Allein in Deutschland gibt es rund sechs Millionen Betroffene. Welche Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt es beim Vorkommen der Erkrankung und ihren Folgen?
Dr. Bosserdt: Wichtig ist, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den westlichen Ländern sowohl bei Frauen als auch bei Männern einen ähnlich hohen Anteil aller Todesursachen ausmachen. Jedoch treten Herzinfarkte bei Frauen im Schnitt 5-10 Jahre später und etwas seltener als bei Männern auf. Andererseits sind Herzschwäche und Schlaganfälle bei Frauen häufiger als bei Männern. Weiterhin haben Frauen mit Verdacht auf eine KHK mehr Symptome, die jedoch häufig nicht den typischen Beschreibungen aus den Lehrbüchern folgen als bei Männern. Dies erschwert die Diagnose bei Frauen und kann zu schlechteren Behandlungsergebnissen führen. So ist zum Beispiel das Belastungs-EKG häufiger falsch positiv bei Frauen. Deswegen ist die Weiterentwicklung von diagnostischen Verfahren ein wichtiges Thema der Gendermedizin. Dabei ist die Computertomographie (CT) eine besonders vielversprechende und vor allem sichere Alternative zur Herzkatheteruntersuchung, um eine KHK auszuschließen.

Wie gut ist aus Ihrer Sicht die Erkrankung insgesamt, aber auch bezogen auf ihre genderspezifischen Aspekte, erforscht?  
Über die letzten Jahrzehnte wurde die KHK sehr gut erforscht. Jedoch gibt es bis jetzt nur wenige Diagnose- und Behandlungsstudien, in denen die Ergebnisse gezielt für Frauen und Männer untersucht werden können. Dadurch sind momentan nach Geschlecht differenzierte Empfehlungen noch nicht für alle diagnostischen Schritte überzeugend und fundiert möglich.

Wie sind Sie und Ihr gleichberechtigter Erstautor Dr. Klaus F. Kofoed in Ihrer Publikation methodisch vorgegangen und was wurde erforscht?
Wie haben 2052 Frauen und 1615 Männer mit Verdacht auf KHK, die aufgrund stabiler Brustschmerzen und einer Vortestwahrscheinlichkeit von 10 bis 60 Prozent für eine obstruktive KHK klinisch zur Herzkatheteruntersuchung in eines von 26 klinischen Zentren in 16 europäischen Ländern überwiesen wurden, eingeschlossen. Die Patientinnen und Patienten wurden im Verhältnis 1:1 auf eine Strategie randomisiert, die entweder eine CT oder eine Herzkatheteruntersuchung als ersten diagnostischen Test vorsah. Anschließend wurden klinisch relevante Endpunkte wie MACE (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall) und erweiterter MACE (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, transitorische Ischämie-Attacke oder Verfahrenskomplikationen) in einer Nachbeobachtungszeit von 3,5 Jahren, aber auch relevante verfahrensbedingte Komplikationen der diagnostischen Strategien erfasst.

Könnten Sie die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit beschreiben?
Die CT des Herzens nützt Frauen und Männern - aber auf unterschiedliche Weise. Bei Frauen ist die CT mit weniger verfahrensbedingten Komplikation im Vergleich zum Herzkatheter verbunden (0,3 Prozent vs. 2,1 Prozent), während bei Männern die CT im Vergleich zur direkten Herzkatheteruntersuchung zu weniger erweiterten MACE führt (2,8 Prozent vs. 5,3 Prozent).

Wie erklären Sie sich die Resultate Ihrer Arbeit?
Der Anteil der Patientinnen und Patienten, bei denen eine obstruktive KHK festgestellt wurde, war bei Frauen geringer als bei Männern und zwar sowohl bei einer CT als auch bei einer Herzkatheteruntersuchung: So lag der Anteil von Frauen mit obstruktiver KHK bei 19,7 Prozent beziehungsweise 18,2 Prozent, verglichen mit 33,5 Prozent beziehungsweise 35,3 Prozent bei Männern. Allerdings war die Häufigkeit der verfahrensbedingten Komplikationen bei Frauen geringer, wenn eine CT als Erstuntersuchung durchgeführt wurde. Höchstwahrscheinlich spiegelt diese Beobachtung die geringere Prävalenz von KHK wider, wodurch bei Frauen eine anschließende invasive Untersuchung und koronare Revaskularisation weniger häufig erforderlich wurde, was den positiven Beitrag der CT als Gatekeeper für invasive Untersuchungen und Behandlungen in diesem Umfeld unterstreicht.
Weiterhin wird das Risiko für verfahrensbedingte Komplikationen bei Herzkatheteruntersuchungen bei Frauen spezifisch reduziert, wenn die CT vor der Herzkatheteruntersuchung durchgeführt wurde – also immer dann, wenn die CT für die Planung der Herzkatheteruntersuchung und der perkutanen Koronarintervention zur Verfügung stand.

Welche Bedeutung haben Ihre Studienergebnisse für herzkranke Männer und Frauen?
Sowohl Frauen als auch Männer profitieren von der CT als erster diagnostischer Untersuchung. Der Nutzen unterscheidet sich jedoch zwischen den Geschlechtern.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Bosserdt!

Die koronare Herzkrankheit gehört zu den häufigsten Herzerkrankungen, herzkranke Patientinnen und Patienten werden medizinisch in der Regel mithilfe eines Herzkatheters untersucht. Eine Alternative dazu kann die Untersuchung mithilfe der Computertomografie mit nicht-invasiven Verfahren darstellen. Das zeigt die DISCHARGE-Studie unter Leitung von Prof. Dr. Marc Dewey, Stellvertretender Direktor der Klinik für Radiologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. In diesem Interview mit Professor Dewey erfahren Sie mehr über die Studie und ihre Ergebnisse.
veröffentlicht am Dienstag, 13. Dezember 2022