INTERVIEW TEIL II

„Wolkige Raumforderung mit einer hühnereigroßen Dimension“

ICIS-Tagung 2017: Aktuelle Themen und Innovationen in der onkologischen Bildgebung

Vom 2. bis 4. Oktober 2017 findet bereits zum zweiten Mal nach 2014 die Tagung der International Cancer Imaging Society (ICIS) in Deutschland statt. Experten aus dem In- und Ausland kommen im Langenbeck-Virchow Haus in Berlin zusammen, um sich ausschließlich mit Bildgebung und radiologischen Interventionen bei onkologischen Patienten zu beschäftigen. Prof. Dr. Stefan Diederich, Präsident der ICIS, stellt im Interview die Programm-Höhepunkte vor. 

Darmkrebs, Lungenkrebs, Hautkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs machen gut die Hälfte der Neuerkrankungen aus. Finden diese Krebsarten eine entsprechende Berücksichtigung im Programm der ICIS-Tagung?

Ja und Nein. Die Themen, die Radiologen besonders beschäftigen, finden sich auch in einer entsprechenden Gewichtung im Kongressprogramm wieder. Dabei handelt es sich aber nicht um eine „eins zu eins Übersetzung“ der Neuerkrankungszahlen. Ein Thema, das auf der ICIS-Tagung in diesem Jahr einen relativ großen Stellenwert einnimmt, ist das Prostatakarzinom. Der Grund dafür ist schlicht der, dass hier in der Bildgebung gerade sehr viel passiert. Auf der anderen Seite hat die ICIS-Tagung auch den Anspruch, onkologische Bildgebung in ihrer Breite abzudecken. Es gibt deshalb auch Sitzungen zu Nischenthemen wie z. B. Krebs bei Kindern. Das kommt glücklicherweise zwar selten vor, aber wenn der Fall einmal eintritt, ist das natürlich eine große Katastrophe für das Kind und die Familie. Im Programm haben wir deshalb Sitzungen, in denen Kinderradiologen über die onkologische Bildgebung und onkologische Interventionen reden. Wir haben auch eine Sitzung zu Kopf- und Halstumoren. Das sind zwar eher selten auftretende Tumoren, aber für die Betroffenen deshalb nicht minder bedeutsam und einschneidend. Es geht uns auch darum, mit dem Programm alle Regionen des Körpers abzudecken, bei denen die Bildgebung Relevanz hat. Sicherlich finden sich dort Tumoren, die häufiger auftreten, auch überproportional wieder, aber auch seltener auftretende Erkrankungen sind wichtige Themen, damit diejenigen, die ein besonderes Interesse an onkologischer Bildgebung haben, auch für diese Fälle gerüstet sind. Wir wollen mit der ICIS-Tagung ja nicht nur die Spezialisten der onkologischen Bildgebung ansprechen, sondern auch den Allgemeinradiologen, der vielleicht morgens eine Schulter-MR befunden muss und nachmittags dann bei einem Kolonkrebs-Patienten ein CT-Staging vornimmt.

Welches sind aus Ihrer Sicht besonders interessante Entwicklungen, die sich auch im ICIS-Programm widerspiegeln?

Ein ganz spannendes Thema ist die Immuntherapie. Hier werden Medikamente eingesetzt, die den Krebs nicht direkt attackieren, sondern das körpereigene Immunsystem so stärken, dass es seinerseits den Krebs angreifen kann. Wichtig dabei ist, dass diese Medikamente im Patienten andere Effekte auslösen können als man sie von einer klassischen Chemotherapie kennt. Eine wirksame Chemotherapie macht den Tumor kleiner, eine erfolgreiche Immuntherapie hingegen kann den Tumor unter Umständen erst einmal größer machen. Der Radiologie, der diese Patienten untersucht und befundet, muss wissen, dass gerade zu Beginn der Immuntherapie der Tumor durchaus erst einmal schwellen darf, da Entzündungszellen aus dem Immunsystem in den Tumor einströmen, um ihn dann zu zerstören. Diesem Thema widmen wir auf der ICIS-Tagung sogar eine Key Note Lecture. Ein anderes zentrales Thema ist die Response-Beurteilung. Woran erkenne ich, dass ein Tumor auf eine Therapie anspricht? Es ist, wie bereits gesagt, nicht mehr alleine eine Frage der Tumorgröße. Wir können heute die Perfusion des Tumors beurteilen, den Glukose-Stoffwechsel erfassen, oder Änderungen in der Binnenstruktur erkennen. Im IT-Bereich gibt es Entwicklungen, die in der Radiologie zunehmend an Bedeutung gewinnen. Hierzu zählen insbesondere die strukturierte Befundung und das maschinenbasierte Lernen. Wir haben Sitzungen in das Programm aufgenommen, die Radiologen dabei unterstützen sollen, nicht länger Prosatexte zu formulieren, in denen in unterschiedlichsten Begrifflichkeiten ein Tumor beschrieben wird, z. B. „wolkige Raumforderung mit einer hühnereigroßen Dimension“. Es geht vielmehr um eine Fokussierung auf die für die weiteren Therapieschritte relevanten Informationen, d. h. exakte Größe, Randbegrenzung, Organbezüge zu Nachbarstrukturen, Kontaktflächen zu bestimmten Organen. Eine weitere Frage lautet, ob mir ein Computerprogramm mithilfe von eingespeisten großen Datensätzen zukünftig eine Liste von in Frage kommenden Differenzialdiagnosen anbieten kann oder eine Prognose darüber abgibt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Bösartigkeit des jeweiligen Tumors ist. Es gibt beispielsweise erste konkreten Ansätze, bei denen ein Computerprogramm für einen Lungenrundherd, den man – unter Kenntnisnahme des Alters des Patienten und seiner Rauchgewohnheiten – nach Größe, Dichte, Begrenzung beschrieben hat, einen Prozentwert errechnet, ob dieser Herd maligne sein wird. Diese Entwicklungen werden den Radiologen sicherlich nicht ersetzen, können ihn aber bei der Befundung wirksam unterstützen. Schließlich passiert auch im Bereich der onkologischen Interventionen gerade sehr viel. Das ist nicht zuletzt deshalb auch ein besonderes Schwerpunktthema auf der ICIS-Tagung. Die perkutane Tumortherapie wie auch die transvaskuläre Tumortherapie sind Verfahren, die eine möglichst effektive Behandlung mit einer bestmöglichen Lebensqualität des Patienten verbinden. Wenn die Möglichkeit gegeben ist, statt einer großen Operation unter Vollnarkose und einem mehrtägigen Aufenthalt auf der Intensivstation eine Intervention unter radiologischer Kontrolle, mit einer örtlichen Betäubung oder einer leichten Beruhigungsspritze durchzuführen und damit den gleichen Effekt zu erzielen, dann mag dies vielleicht keine signifikanten Auswirkungen auf die Heilungschancen des Patienten haben, sehr wohl aber auf seine Lebensqualität. Es gibt also viele interessante Entwicklungen, die wir auch im Tagungsprogramm abbilden werden.

Sie haben in diesem Jahr neben klassischen Vorträgen eine ganze Reihe praxisorientierter, interaktiver Veranstaltungsformate geplant. Welche sind das genau und was versprechen Sie sich davon?

Auf radiologischen Kongressen ist schon seit längerem die Tendenz erkennbar, mehr fallorientiert zu lernen und nicht Frontalvorträge, die Lehrbuchwissen vermitteln, in den Vordergrund zu stellen. Diese haben durchaus ihre Berechtigung, weil sie gerade für Allgemeinradiologen ein passendes Format sind, um sich viele Informationen in relativ kurzer Zeit anzueignen. Irgendwann stößt man aber mit dem reinen Frontalunterricht auch an Grenzen. Auf der ICIS-Tagung haben wir deshalb, neben reinen Vorträgen, insgesamt acht Hands on-Workshops zu acht verschiedenen Themen, in denen relativ kleine Gruppen von bis zu 40 Personen mit zwei Tutoren an PACS-Befundungs-Workstations Fälle aus der radiologischen Praxis durchgehen. Die Tutoren werden kurz in das jeweilige Thema einführen, um dann den Teilnehmern die Gelegenheit zu geben, in Zweier- oder Dreier-Gruppen die aufgerufenen Fälle zu analysieren und mit den Tutoren zu diskutieren. Idealerweise berichten die Tutoren dann im Anschluss über den tatsächlichen Therapieverlauf. Noch praxisnäher wird es bei den Live-Cases, die wir in diesem Jahr zum ersten Mal anbieten und bei denen es ausschließlich um onkologische Interventionen gehen wird. Die Gruppen sind hier mit maximal acht Personen noch einmal deutlich kleiner. Die Teilnehmer bekommen Gelegenheit, in der Charité und in der evangelischen Lungenklinik bei speziellen Interventionen live dabei zu sein. In einem ersten Schritt wird hier der Fall vorgestellt und der Entscheidungsfindungsprozess im Tumorboard rekapituliert. Dann werden die Teilnehmer tatsächlich daneben stehen, wenn der Patient behandelt wird – beispielsweise mit einer Thermoablation oder eine Katheter-Intervention. An diesem Punkt wird es wirklich ganz praktisch. Mit welchem Material wird gearbeitet, welche Hindernisse werden erwartet, welche Möglichkeiten gibt es, die Hindernisse zu umschiffen. Die Kunst der Intervention besteht ja nicht im Setzen der Nadel oder eines Katheters. Sie besteht vielmehr darin, sich für die richtige Maßnahme zu entscheiden, Hindernisse zu erkennen und zu wissen, wie man sie umschiffen kann, oder Komplikationen frühzeitig wahrzunehmen und zu beherrschen. Darüber entlang eines konkreten Falls mit jemandem, der das regelmäßig macht, sprechen zu können, hat noch einmal einen ganz anderen Lerneffekt als ein Vortrag, der idealtypische Verläufe vorstellt und bei dem die Bilder immer perfekte Befunde zeigen. Am Ende der Live Cases besteht auch die Möglichkeit zur Manöverkritik. Was hat gut geklappt, was hätte man retrospektiv vielleicht anders machen sollen, sind noch Folgeeingriffe zu erwarten, wie würde man den Patienten kontrollieren? Die Teilnehmer werden also an einem speziellen Fall von der Indikationsstellung bis zur Nachsorge alles erleben.

Für die ICIS-Tagung haben Sie auch Stipendien ausgelobt. Wer kann sich dafür bewerben?

Es handelt sich dabei um Stipendien der Deutschen Röntgengesellschaft, die allgemein für internationale Kongresse wie jetzt auch die ICIS-Tagung speziell an junge Radiologen vergeben werden. Voraussetzung für eine Bewerbung ist die Mitgliedschaft in der DRG. Außerdem sollten die Bewerber in der Weiterbildung sein. Die Stipendien werden an diejenigen vergeben, deren wissenschaftlicher Vortrag oder wissenschaftliches Poster für die Tagung angenommen wurde. Die DRG hat insgesamt zehn solcher Stipendien ausgelobt. Sie sind mit je 500,- Euro dotiert. Bei mehr Bewerbungen entscheidet das Jury-Committee der ICIS, das auch über die Annahme der Abstracts befindet. Die Stipendien sind nur insofern zweckgebunden, als dass sie für die Kosten eingesetzt werden soll, die in Zusammenhang mit der Kongressteilnahme stehen. Ansonsten ist der Stipendiat frei in der Wahl seiner Unterkunft, der Anreise etc. Das Stipendium soll als finanzieller Zuschuss eine zusätzliche Anerkennung des eingereichten Abstracts oder Posters darstellen.

Die AG Onkologische Bildgebung richtet am 30. September 2017 in Berlin eine eintägige Fortbildungsveranstaltung aus. Gibt es eine inhaltliche Verknüpfung bzw. bauen die Veranstaltungen aufeinander auf?

Die organisatorische Verknüpfung besteht einerseits im Tagungsort, an dem die Fortbildungsveranstaltung der AG Onkologische Bildgebung stattfindet, andererseits über die DRG, die auch die ICIS-Tagung unterstützt. Außerdem gibt es als Kombiangebot einen finanziellen Rabatt für die Teilnahme beider Veranstaltungen. Dieses Angebot richtet sich an alle deutschen Radiologen, die sich für onkologische Bildgebung interessieren. Inhaltlich sind die Themen eng aufeinander abgestimmt. Bei der AG-Veranstaltung stehen die Tumorgruppen Prostata, Mamma und maligne Lymphome im Mittelpunkt. Alle drei Themen finden sich auch im ICIS-Programm wider, aber mit anderen Schwerpunkten. Wenn man beide Veranstaltungen besucht, ergibt sich damit wahrscheinlich ein runderes Gesamtbild.

Und zum Schluss die Frage: Weshalb sollte man die ICIS-Tagung 2017 in Berlin auf gar keinen Fall verpassen?

Weil man einen kompletten Überblick über Bildgebung und Intervention bei seltenen und häufigen onkologischen Erkrankungen bekommt. Und wenn man sich als Radiologie teilweise oder auch intensiv mit der Bildgebung bei Krebspatienten beschäftigt, stellt die ICIS-Tagung sicherlich auf viele Jahre hin zumindest auf deutschem Boden die kompakteste Veranstaltung dar, um sein Wissen zu erweitern, zu festigen und konkreter anwenden zu können.

Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews mit Prof. Dr. Stefan Diederich!

DRG-Stipendien für die ICIS-Tagung 2017