INTERVIEW

Führung gestalten

Vor dem Hintergrund von Veränderungsdruck und -geschwindigkeit, denen Kliniken und Niederlassungen ausgesetzt sind, wird immer wichtiger, dass leitende Ärzte verstärkt selbst Impulse setzen und Führungsstärke einbringen. Bereits zum zweiten Mal bietet die Röntgen Akademie für Führungskräfte in der Radiologie daher am 21.-22. Oktober 2016 in Berlin ein Seminar für alle, die als Chefarzt in der Klinik tätig sind oder eine Führungsposition in der Niederlassung innehaben. Seminarleiter ist Jens Hollmann, ein ausgewiesener Berater in der Gesundheitswirtschaft und Inhaber von medplus-kompetenz. Seit über zehn Jahren begleitet er Chef- und Oberärzte insbesondere zum Themenfeld erfolgreiche Führung.

Jens HollmannJens HollmannHerr Hollmann, anhaltender Veränderungsdruck auf der Organisationsebene, knappe finanzielle und personelle Ressourcen, Arbeitsbelastung, Stress und nicht zuletzt auch sich verändernde Ansprüche auf Patientenseite – sind leitende Ärzte in Klinik und Praxis nicht Getriebene, die vor einer eigentlich unlösbaren Aufgabe stehen?
Das würde ich mit einem klaren Nein beantworten. Richtig ist, dass es Veränderungsdruck gibt, dass die personellen Ressourcen knapp sind und die finanziellen wie juristischen Rahmenbedingungen heute andere sind als noch vor ein paar Jahren. Auch das Thema Patientenanforderungen, insbesondere des informierten Patienten, hat sicherlich an Bedeutung gewonnen. Es bieten sich jedoch auch vielfältige Gestaltungsspielräume und derjenige, der sie zu nutzen weiß, erlebt sich nicht als Getriebener, sondern als jemand, der in Veränderungsprozessen Gestalter ist im positiven Sinne.

Leitende Ärzte fungieren ja in gewisser Weise als eine Art Spielertrainer. Sie sind weiterhin aktiv in der medizinischen Versorgung von Patienten, tragen darüber hinaus aber auch die Verantwortung für die Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Abteilung. Welche Auswirkungen hat das auf deren Arbeitsalltag?
Wer sich für eine leitende Position entschieden hat, hat sich damit auch ganz bewusst für die wirtschaftliche, personelle und medizinische Dimension entschieden. Leitende Ärzte müssen in wirtschaftlichen Belangen, in der Personalführung und in der Qualitätssicherung mehr Verantwortung übernehmen wollen, sonst sind sie im Grunde in dieser Position auch selbst nicht wirklich zufrieden.

Inwieweit hilft die medizinische Aus- und Weiterbildung bei der Wahrnehmung von Führungs- und Managementaufgaben?
Die Tragik besteht darin, dass weder das Medizinstudium noch die weiteren Aus- und Weiterbildungsschritte wie beispielsweise der Facharzt dem bis heute überhaupt nicht gerecht werden. All die Themen und Anforderungen, mit denen Chefärzte, aber auch schon leitende Oberärzte konfrontiert sind, spielen überhaupt keine Rolle. Nicht zuletzt deshalb gibt es ja auch das Angebot der Röntgen Akademie der DRG. Hier kann man sich beispielsweise in der Veranstaltungsreihe „Führungskompetenzen für Radiologen“ entlang entsprechend aufbereiteter Module die hierfür notwendigen Kompetenzen professionell erarbeiten.

Wenn Führung – in Abgrenzung zum Management – das zielorientierte Einwirken auf Menschen meint, welche Instrumente stehen einem leitenden Arzt eigentlich zur Verfügung?
Führung meint heute nicht nur das planvolle Einwirken auf Menschen. Es geht vielmehr darum, Bedingungen zu schaffen, in denen Führungskräfte einen Rahmen setzen, in dem Mitarbeiter lernen, sich selbst zu führen. Viele Ärzte hängen noch an der Vorstellung, dass Führung bedeutet, ich delegiere und dann wird das schon gehen. Dieses neue Verständnis von Führung ist anspruchsvoll, aber in den Trainings wird dann schnell klar, wie man dies für seine Abteilung wirksam umsetzen kann. Im Kern geht es darum, dass ich als Chefarzt aktive Mitarbeiter benötige, die bereit sind mitzugestalten. Die Ausübung von Druck ist hier nur bedingt erfolgreich, weil die Mitarbeiter immer häufiger auch die Option haben, sich woanders hin zu orientieren. Es gibt jedoch eine Reihe von Führungsinstrumenten, mit deren Hilfe man Menschen positiv an sich binden kann.

Sie sind schon seit über zehn Jahren fast ausschließlich beratend für Ärzte und Klinikleitungen tätig. Mit welchen Herausforderungen sind denn Ihrer Erfahrung nach Chefärzte und leitende Ärzte in Niederlassungen gerade in der Anfangszeit konfrontiert?
Hier muss man natürlich zwischen Klinik und Praxis unterscheiden. In der Klinik stehen Chefärzte vor der Herausforderung, sich in ihrer Peergroup, den Chefärzten anderer Abteilungen, zu positionieren. Das ist meines Erachtens gerade für Radiologen bedeutsam, die grundsätzlich eher transmissionsgetrieben sind und deshalb ohnehin eine Vermittlerrolle einnehmen sollten zwischen ihren chefärztlichen Kollegen. Der Radiologe ist mit unterschiedlichsten Anforderungen und Themen konfrontiert, zu denen er sich verhalten muss. Ich bin der Überzeugung, dass sich die besondere Rolle der Radiologen in den kommenden Jahren noch deutlicher abzeichnen wird hin zu denjenigen, die in den klinischen Abläufen immer mehr eine Steuerungsfunktion einnehmen, auch wenn dies vielleicht vielen Radiologen heute noch nicht so bewusst ist. Neu sind in jedem Fall auch die Anforderungen der kaufmännischen Geschäftsführung, mit denen ein Chefarzt unmittelbar konfrontiert ist. Ich halte es für absolut unabdingbar, dass sich Radiologen wie auch andere Ärzte in leitender Funktion Verhandlungskompetenzen aneignen, um auf Augenhöhe und in einer Partnerschaft mit der kaufmännischen Geschäftsführung agieren zu können und nicht bloß ein Befehlsempfänger zu sein. Ein Beispiel: Ich höre immer wieder, dass leitende Ärzte Verträge unterschrieben haben, in denen nicht all das enthalten ist, was vereinbart wurde, verbunden mit dem Hinweis, man habe das aber zugesichert. Drei Monate später heißt es dann, es gehe nun doch alles nicht. Man muss als Chefarzt klar verhandeln und Verhandlungsergebnisse schriftlich fixieren, da es durchaus sein kann, dass zum Beispiel die Geschäftsführung kurzfristig wechselt. Drei Geschäftsführungswechsel in fünf Jahren sind heute leider keine Ausnahme mehr. Die neue Geschäftsführung wird sich dann sicherlich nicht auf die mündlichen Zusagen ihrer Vorgängerin beziehen. Neben der eigenen Peergroup und der Geschäftsführung gibt es noch die Mitarbeiter. Diese Seite wird oft als die aufwändigste und schwierigste empfunden. Das ist nachvollziehbar, denn schließlich habe ich als Chefarzt meine Mitarbeiter den ganzen Tag um mich und muss mich von der ersten Frühbesprechung bis zum Abend hin permanent mit ihnen auseinandersetzen und beschäftigen. Beschäftigen im professionellen Sinne meint Themen wie Arbeitskultur, Konfliktmanagement oder Motivation. Neu ist für viele, dass sie nicht einzelne Personen führen müssen, sondern im Grunde die Dynamik eines Teams. Wie kann ich ein Team führen, wie kann ich positive Dynamiken im eigenen Bereich, in der eigenen Abteilung entstehen lassen, fördern oder begleiten? Dies sind Fragen, mit denen man sich gerade in der Anfangszeit auseinandersetzen muss.

Und vor welchen Herausforderungen stehen leitende Ärzte in der Niederlassung?
Ein wichtiger Unterschied zu den Kollegen in der Klinik besteht darin, dass in der Niederlassung die ökonomischen Anforderungen nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar spürbar sind. Entsprechend ist hier die Fokussierung auf die wirtschaftlichen Prozesse stärker ausgeprägt. Es ist sicherlich aber auch so, dass Führungskräfte in der Niederlassung besser darauf vorbereitet sind, da viele Fragen bereits mit der Hausbank verhandelt wurden und ein Businessplan vorliegt. Mittlerweile kann übrigens auch im Klinikbereich der Fall eintreten, dass Kandidaten im Rahmen eines Auswahlverfahrens für Chefarztpositionen ebenfalls einen Businessplan – hier für die zukünftige Abteilungsentwicklung – vorstellen müssen. Ein zentrales Thema für Niedergelassene ist das Finden, Binden und Qualifizieren von Assistenzpersonal, also MTAs/MTRAs bei Radiologen. Zu einer aktiven Führung zählt hier übrigens auch ein professionelles Trennungsmanagement. Bei Mitarbeitern, die „toxisch“ für die positive Team- und Abteilungsentwicklung sind, kann eine Trennung ein notwendiger Schritt sein, wenn andere Maßnahmen keinen Erfolg gezeigt haben.

Ein bekanntes Instrument in der Führung ist das Mitarbeitergespräch. Weshalb sollte man als Führungskraft dieses Instrument ernst nehmen?
Bei Mitarbeitergesprächen muss man zwei Arten unterscheiden. Es gibt anlassbezogene Mitarbeitergespräche und Jahresmitarbeitergespräche, wobei beide nicht per se auch Zielvereinbarungsgespräche sind. Es gibt Kliniken, bei deren Mitarbeitergesprächen keine Ziele hinterlegt sind, und es gibt Kliniken, die Ziele oder auch Ziele und Boni hinterlegen. Aufbau und Struktur können hier also sehr unterschiedlich sein. Viele Chefärzte selbst haben – entgegen ihrer eigenen Vorstellung – keine Zielvereinbarungsgespräche mit ihrer Geschäftsführung, sondern Zielvorgabegespräche, die eben nicht gemeinsam vereinbart, sondern vorgegeben werden. Anlassbezogene Gespräche sind bei den meisten tägliche Praxis und finden zwischen Tür und Angel oder im Rahmen einer Besprechung statt. Dabei werden aktuelle Anlässe zugrunde gelegt, um mit jemandem das Gespräch zu führen. Das ist wichtig und man kann es gut oder schlecht machen, motivierend oder demotivierend. Das Jahresmitarbeitergespräch ist ein extrem wichtiges Instrument in der Führung. Wenn die Klinik oder die Praxis keine Vorlagen hat und keine Form vorgibt, bietet es sich an, dass leitende Ärzte etwas Eigenes entwickeln, was ihnen hilft, die Ziele der Abteilung auch wirklich nachhalten und auch strukturieren und führen zu können. Diese Gespräche, gerade auch schwierige Mitarbeitergespräche, sollte man möglichst in einem neutralen Umfeld, in einer Lernumgebung oder einem sanktionsfreien Raum wirklich einmal geübt haben.

Motivation als Führungselement wird häufig missverstanden oder aber nicht wirklich ernst genommen.Was können Sie hier Führungskräften an die Hand geben?
Es gibt viele Mythen über Motivation. Hierzu wird seit mehr als hundert Jahren geforscht und die Diskrepanz zwischen dem, was man wissenschaftlich darüber weiß und dem, was man alltagspraktisch glaubt, richtig machen zu können, ist sehr groß. Ein Satz von Reinhard K. Sprenger aus seinem Buch „Mythos Motivation“ macht dies sehr deutlich: „Wenn Führungskräfte mit ihrer Art der Demotivation aufhören würden, hätten wir bereits genug Motivation.“ Bei Motivation geht es nicht um die großartige Inszenierung oder die Organisation eines „Happy Days“. Entscheidend ist vielmehr, die Motive und Werte der Mitarbeiter zu erkennen und die ritualisierten Demotivationstatorte zu identifizieren. Zwei Beispiele: Wenn Kollege A Montagmittag Kollege B sieht, weiß er schon, dass er Montagnachmittag schlechte Laune hat. Oder wenn Kollege C am Dienstagmorgen bestimmte Anforderungen von Abteilung D bekommt, hat er eine Stunde später schlechte Laune. Gute Führungskräfte kümmern sich um diese ritualisierten Demotivationstatorte und bauen sie, wenn möglich, aktiv ab. Achtsamkeit, also das genaue Hinschauen, das Wahrnehmen und die Bereitschaft, sich die Dinge, die nicht gut laufen, auch mal genau anzugucken, ist natürlich eine wesentliche Voraussetzung dafür, überhaupt in eine Veränderung zu kommen. Allerdings sind Veränderungen auch nicht immer möglich. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen einem Problem und einer Dilemmastruktur. Wer ein Dilemma zu einem Problem erklärt, der arbeitet sich daran ab bis hin zum Burnout oder einer Depression. Wer hingegen ein Problem zu einem Dilemma erklärt, der fängt gar nicht erst an. Entscheidend ist also, wie man seine Ausgangslage konnotiert. Sage ich, die ist total fürchterlich und nicht änderbar und das ist tatsächlich auch so, dann wäre es zumindest gut, wenn ich mich möglichst entspanne. Wenn ich aber eine Situation habe, die schlecht, aber gestaltbar ist, sie jedoch für nicht änderbar erkläre, dann habe ich ein Problem, das ich hätte lösen können, aber durch meine Haltung schleifen lasse und damit manifestiere. Die Selbstregulationsfähigkeit ist in diesem Zusammenhang ein weiteres wichtiges Thema.

Gerade Veränderung und Wandel provoziert Konflikte. Welche konkreten Möglichkeiten bieten sich ärztlichen Führungskräften im Management von Konflikten?
Der erste Schritt ist sicherlich, Konflikte zu erkennen und ernst zu nehmen. Wenn sich ein Konflikt in einer niedrigen Eskalationsstufe befindet, kann noch eine konstruktive Lösung gefunden werden. Viele Konflikte sind jedoch sogenannte kalte Konflikte, chronifizierte Konflikte, die deshalb schwierig sind, weil sie so lange nicht aktiv angegangen und geklärt wurden. Konflikte müssen so früh als möglich zum Thema gemacht werden, nur dann besteht auch eine realistische Chance auf Lösung. Wartet man zulange, ist ein Eskalationslevel erreicht, bei dem es sehr mühsam und schwierig ist, eine Klärung herbeizuführen. Das Management von Konflikten ist insgesamt ein sehr sensibles Feld. Manche Konfliktsituationen und -themen kann man auch nur im Rahmen eines individuellen Führungscoachings behandeln und nicht innerhalb eines Seminars.

Weshalb sollten leitende Ärzte in der Radiologie das Seminar am 21.-22. Oktober in Berlin wahrnehmen?
Weil es in diesem Markt im Grunde genommen in dieser Spezifität kein alternatives Angebot gibt. Die DRG ist hier ein Vorreiter, das muss man ganz klar so sagen. Außerdem ist es unglaublich hilfreich, diese Themen in einem kollegialen Netzwerk zu besprechen und Erfahrungen auszutauschen. Zu guter Letzt, erlauben Sie mir diesen kleinen Hinweis, arbeite ich sehr stark evidenzbasiert, also auch mit Theoriebildung, die den neuesten Stand der Wissenschaft zu den Themen Konflikt, Motivation, Teamentwicklung usw. abbildet. Das ist leider bei vielen anderen Anbietern auf dem Markt nicht der Fall.

Literaturhinweis

Jens Hollmann, Führungskompetenz für Leitende Ärzte. Motivation, Teamführung, Konfliktmanagement im Krankenhaus, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2. Aufl. 2013.

Röntgen Akademie für Führungskräfte in der Radiologie

Um zeitgemäß und in die Zukunft zu führen, ist es erforderlich, über eine entsprechende Bandbreite an Modellen und Führungsansätzen zu verfügen und diese überzeugend einsetzen zu können. Die Röntgen Akademie für Führungskräfte in der Radiologie der DRG bietet deshalb hochprofessionelle Seminare und Workshops speziell für angehende Führungskräfte sowie für junge Chefärzte oder Niedergelassene in der Radiologie an.

Führungskraft in Klinik und Praxis (Zielgruppe: Chefärzte und Niedergelassene)

Führungskraft in Klinik und Praxis - Teamführung, Mitarbeitergespräche, Konfliktmanagement - 21./22. Oktober 2016, Berlin

Führungskompetenzen für Radiologen (Zielgruppe: Oberärzte)

Modul 1: Team und Motivation, 11./12. November 2016, Berlin (ausgebucht)
Basiskurs - 27./28. Januar 2017
Modul 2 - Konfliktmanagement - 23./24. Juni 2017
Modul 3 - Changemanagement - 20./21. Oktober 2017

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